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Felix Wemheuer

Der Große Hunger. Hungersnöte unter Stalin und Mao

Berlin: Rotbuch Verlag 2012; 256 S.; geb., 19,95 €; ISBN 978-3-86789-169-1
Wenn die Nahrungsmittel den Bedarf nicht oder nicht hinreichend decken können, entsteht ein Gefühl, das über Jahrtausende hinweg zu einem ständigen Begleiter der Menschen werden sollte: der Hunger, der in der Bildersprache des Mittelalters zu den vier apokalyptischen Reitern gehörte. Und noch immer vermitteln uns die hageren und ausgemergelten Gesichter zahlloser Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern, dass diese Geißel keineswegs besiegt ist. Zugleich verdecken die medial präsenten Extreme in Afrika oder Teilen Asiens, dass dieses Problem auch in den Industriestaaten des Nordens und nicht zuletzt in den aufstrebenden Regionen des Fernen Ostens partiell fortbesteht und bis in die jüngste Vergangenheit hinein Staaten betraf, die als Atommächte Weltpolitik betrieben oder sich anschickten, den Weltraum zu erobern. Die Rede ist von China und der Sowjetunion, die im 20. Jahrhundert die meisten Hungertoten zu beklagen hatten. Mit denen setzt sich der Autor aus einem neuen Blickwinkel auseinander, denn gerade die kommunistischen Parteien hatten der Bauernschaft schon früh große Bedeutung beigemessen, die mit dem Begriff „Agrarromantik” trefflich umschrieben ist. Dennoch gelang es der Sowjetunion erst nach dem Zweiten Weltkrieg und China sogar erst Anfang der 1980er-Jahre, die Hungersnöte und die chronische Mangelernährung weitgehend zu überwinden. Der Verfasser präsentiert eine Liste der auf diesem Weg begangenen politischen Fehler, sie ist lang und reicht von den Zwangsrequisitionen in der Zeit des Bürgerkrieges in Russland über die von Stalin forcierte Entkulakisierung zu Beginn der 1930er-Jahre und dessen fatale Rationierungspolitik nach dem gewonnenen Krieg 1946/47 bis hin zu Maos Doktrin vom „Großen Sprung” und der sich anschließenden Hungersnot in weiten Teilen Chinas. Eindringlich schildert Wemheuer in zwei größeren Blöcken den unerbittlichen Kampf ums Überleben, in dem die Grenze zwischen Mensch und Tier fällt. Er verbindet dabei die kalten Abstraktionen gigantischer Opferzahlen mit den Geschichten von Überlebenden und zeigt so eindringlich die menschlichen Schicksale.
Michael Vollmer (MV)
M. A., Politikwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, TU Chemnitz.
Rubrizierung: 2.252.622.68 Empfohlene Zitierweise: Michael Vollmer, Rezension zu: Felix Wemheuer: Der Große Hunger. Berlin: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/9247-der-grosse-hunger_43218, veröffentlicht am 20.12.2012. Buch-Nr.: 43218 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken