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Alain Supiot

Der Geist von Philadelphia. Soziale Gerechtigkeit in Zeiten entgrenzter Märkte. Aus dem Französischen von Ilse Utz

Hamburg: Hamburger Edition 2011; 143 S.; 18,- €; ISBN 978-3-86854-231-8
Im Mai 1944 wurde in Philadelphia die „Erklärung über die Ziele und Zwecke der Internationalen Arbeitsorganisation“ verkündet. Die Kernelemente dieser Erklärung postulieren ein Verständnis von Arbeit, das eng mit Menschenwürde, Solidarität und sozialer Gerechtigkeit verknüpft ist. Für den Autor, Professor für Sozialrecht an der Universität Nantes, verkörpert dieser „Geist von Philadelphia“ eine Reaktion auf den menschenverachtenden Szientismus des 20. Jahrhunderts, der in Gestalt des Nationalsozialismus wie des Stalinismus entweder im Namen der Biologie oder des wissenschaftlichen Sozialismus das Recht nach Belieben instrumentalisierte. Die mit der Philadelphia-Erklärung artikulierten sozialpolitischen Lehren aus der Zeit zwischen 1914 und 1945 scheinen jedoch gegenwärtig vollständig vergessen. Der Globalisierungsprozess hat das Ziel sozialer Gerechtigkeit durch das des freien Kapital- und Warenverkehrs ersetzt und die Rangfolge von Mitteln und Zwecken umgekehrt. Mit dieser Kehrtwende setzt sich der Autor in seinem Essay vehement auseinander. Entstanden ist eine ebenso scharfe wie pointierte Kritik der „ultraliberalen Gegenrevolution“ (25) und deren Folgen wie dem Abbau sozialer Rechte, dem Wettlauf um die niedrigsten Sozialstandards innerhalb Europas oder der immer weiter getriebenen Flexibilisierung von Beschäftigungsverhältnissen. Lesenswert sind diese Überlegungen nicht allein wegen ihrer strikten Kritik der in alle Lebensbereiche vordringenden Marktlogik – deren Dominanz letztlich als eine Krise des Rechts verstanden werden muss. Supiot demonstriert in jenen Passagen, in denen er sich mit dem „funktionalen Fundamentalismus“ auseinandersetzt, der – im Namen ihrer Arbeitsmarkttauglichkeit – die Menschen wie Sachen behandelt (100 ff.), die Aktualität einer erneuerten Kritik der instrumentellen Vernunft. Heute haben deshalb für ihn zwei Forderungen zentrale Bedeutung: Soziale Gerechtigkeit müsse wieder als Maß für die Richtigkeit der Rechtsordnung gelten und soziale Demokratie die Grundlage der Regulierung von Wirtschaft und Arbeit bilden.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Alain Supiot: Der Geist von Philadelphia. Hamburg: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33785-der-geist-von-philadelphia_40469, veröffentlicht am 21.07.2011. Buch-Nr.: 40469 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken