Skip to main content
Martin Schulz

Der gefesselte Riese. Europas letzte Chance

Berlin: Rowohlt 2013; 272 S.; 2.; 19,95 €; ISBN 978-3-87134-493-0
Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz spannt in dieser Publikation den Bogen von Kindheitserlebnissen und Alltagserfahrungen zu seiner persönlichen Wunschvorstellung einer stärker akzeptierten Europäischen Union. Es geht ihm mithin darum, seine eigene Vision in Bezug zur steinigen Realität zu bringen und für Erstere zu werben. Die Ausführungen profitieren von seiner hohen Glaubwürdigkeit und der Kunst, Geschichten zu erzählen und Sachverhalte einfach darzustellen. „Wir benötigen keine ‚marktkonforme Demokratie’, wie es die deutsche Bundeskanzlerin einmal verlangt hat, sondern einen demokratiekonformen Markt.“ (38) Auch Schulz ist klar, dass ihm die Organe der EU in ihrem jetzigen Zustand kaum Unterstützung leisten würden, um diese Forderung umzusetzen. Allerdings unterscheidet er sich von den EU‑Gegnern darin, dass er eine reformierte EU als besten und wahrscheinlich einzigen Ausweg zur Überwindung nationalstaatlicher Borniertheit und ausufernder Finanzmärkte ansieht. Die von ihm vorgesehenen Instrumente, wie etwa ein neuer Verfassungskonvent, passen sich unspektakulär in vielfach präsentierte Reformprogramme ein. Entscheidend und erfrischend sind hingegen die von Schulz propagierten politischen Konsequenzen. Wer ständig wie Großbritannien blockiere, solle lieber austreten und letztlich müsse das Wagnis des Mehrheits‑ statt des Konsensprinzips eingegangen werden. Viele seiner weiteren Entwicklungsperspektiven kombinieren in gleicher Weise arrivierte Verfahren mit markanten Forderungen. Die sich anbietenden Rückschlüsse auf seine eigene Biografie liefert der Autor in der Regel selbst. Sie kennzeichnen zudem die Grenzen seiner eigenen Anschauung – selbst visionäre Projekte wie eine gemeinsame restriktive Rüstungspolitik klingen wenig interessant, fundamentale Kursänderungen verstecken sich in stereotypischem EU‑Jargon. „In einigen Bereichen der Sozialpolitik sehe ich durchaus die Notwendigkeit, europäische Mindeststandards zu formulieren, die Ressourcen der EU anders einzusetzen oder ihr neue Kompetenzen zukommen zu lassen.“ (222) Auch wird die unzweifelhaft segensreiche Rolle der EU als Friedensstifterin vom ihm stark strapaziert, ohne diesen Wert für die Nicht‑Kriegsgenerationen fassbar zu machen.
Thorsten Schumacher (THS)
M. A. (Politikwissenschaft, Philosophie, Öffentliches Recht), Referent im Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur.
Rubrizierung: 3.13.53.2 Empfohlene Zitierweise: Thorsten Schumacher, Rezension zu: Martin Schulz: Der gefesselte Riese. Berlin: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37371-der-gefesselte-riese_44108, veröffentlicht am 07.08.2014. Buch-Nr.: 44108 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken