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Bernhard Brunner

Der Frankreich-Komplex. Die nationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich und die Justiz der Bundesrepublik Deutschland

Göttingen: Wallstein Verlag 2004 (Moderne Zeit VI); 426 S.; geb., 42,- €; ISBN 3-89244-693-8
Diss. Freiburg; Gutachter: U. Herbert, F.-J. Brüggemeier. - Am Beispiel von 23 Spitzenfunktionären der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes der SS, die zwischen 1940 und 1944 in Frankreich eingesetzt waren, untersucht Brunner Lebensläufe und Strafverfolgung von NS-Tätern. Bei diesen Funktionären handelt es sich um eine Tätergruppe, die „auch nach Kriegsende sehr erfolgreich war und fast vollständig in der Bundesrepublik integriert wurde“ (11 f.). In einem ersten Schritt werden Tatorte und Täter vorgestellt sowie die französische Strafverfolgung beschrieben, die aus heutiger Sicht auf geradezu skandalöse Weise in der Bundesrepublik kritisiert wurde. Parallel dazu vollzog sich ein „Selbstdeutungsprozess“ dieser Täter, „an dessen Ende in den meisten Fällen die offenbar echte Überzeugung stand, selbst zur Gruppe der Opfer zu zählen“ (15). Der Autor schildert dann den langsamen Bewusstseinswandel in Öffentlichkeit, Regierung und Justiz, in dessen Folge es Jahrzehnte nach Kriegsende zu Anklagen und (wenigen) Gerichtsverfahren kam. Vielfach sei es NS-Tätern und ihren Sympathisanten (u. a. in der nordrhein-westfälischen FDP und im Auswärtigen Amt) gelungen, die Strafverfolgung und Verurteilung zu erschweren oder ganz zu verhindern. Bei der Nichtverfolgung von NS-Tätern habe es sich insgesamt aber nicht um eine „Art Verschwörung“ gehandelt, sondern um „einen Elitekonsens, ja um eine mehrheitliche gesellschaftliche Absprache“ (380). Nicht einmal die französische Regierung habe - aus innenpolitischen Gründen - ein gesteigertes Interesse an der systematischen Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Frankreich gehabt. Den Anstoß für die Mobilisierung der öffentlichen Meinung gegen die Straffreiheit der NS-Täter haben die Aktionen der Nazijäger Beate und Serge Klarsfeld gegeben, schreibt Brunner, der beide interviewte und mit seinem insgesamt beeindruckenden Buch deren unerschrockenen Einsatz gegen das Vergessen würdigt.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.312 | 2.323 | 2.61 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Bernhard Brunner: Der Frankreich-Komplex. Göttingen: 2004, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/22477-der-frankreich-komplex_25650, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 25650 Rezension drucken