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Jörg Baberowski

Der Feind ist überall. Stalinismus im Kaukasus

Stuttgart/München: Deutsche Verlags-Anstalt 2003; 882 S.; geb., 59,90 €; ISBN 3-421-05622-6
Geschichtswiss. Habilitationsschrift Tübingen; Gutachter: M. Hildermeier, D. Langewiesche, U. Sautter, M. Zimmermann. - In der „Begegnung mit unverstandenen Traditionen und Lebensverhältnissen erfuhren die Bolschewiki ihre Marginalität und ihre Isolation" (553), schreibt Baberowski, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin. In dieser Erfahrung sieht er die kulturellen Ursprünge des Stalinismus und des damit verbundenen Terrors. Baberowski analysiert die Entstehung des Stalinismus am Beispiel des islamisch geprägten Azerbajdžan, das „das Imperium en miniature [repräsentierte], alle Elemente, die dem Zarenreich und der Sowjetunion Spannung verliehen, waren hier vereint" (17). Die Bolschewiki, der Tradition des europäischen Marxismus verbunden, hätten die ihrer Ansicht nach rückständigen Gesellschaften an der Peripherie des Reiches modernisieren wollen. Allerdings seien der Marxismus und der Islam zwei kulturelle Systeme ohne Berührungspunkte gewesen. Die Bolschewiki hätten in dem Glauben, den einzigen richtigen Weg zu gehen, darauf verzichtet, die traditionellen, lokalen Eliten als Mittler einzusetzen. In der Wahrnehmung der Einheimischen sei deshalb die Sowjetmacht, ebenso wie zuvor das Zarenreich, eine Kolonialmacht gewesen. Stalin, der bereits 1917 gegen die Kulturautonomie gewesen sei, habe sich durchsetzen können, denn „im Frühjahr 1928 verwandelte sich die Furcht der Bolschewiki, an ihrer Einflusslosigkeit zu zerbrechen, in Hysterie" (555). Die ländlichen Eliten seien in einem antireligiösen Kampf verhaftet, deportiert oder umgesiedelt worden. „Die Bolschewiki [...] erlagen dem Wahn, es müssten Feinde vernichtet werden, um die kulturelle Ambivalenz in Eindeutigkeit zu verwandeln" (15). Der Bolschewismus sei eine säkularisierte Erlösungsideologie gewesen mit einer hegemonialen Kultur, die als ein hermetisches Bedeutungsgeflecht nicht über sich hinauswies und „in dem die Bolschewiki heillos verfangen blieben" (13). Aus dem Inhalt: 1. Die Ursprünge der zivilisatorischen Mission und die Anfänge des Nationalismus in Transkaukasien 1828-1914 2. Krieg und Revolution 1914-1920 3. „Moskau - das ist das Mekka und Medina für alle unterdrückten Völker." Die Bolschewiki und die nationale Frage 4. Bolschewismus und Nationalkommunismus 1920-1923 5. „Azerbajdžan ist eine Schule für den Orient." Korenizacija und Nationalismus 1923-1930 6. Sozialismus als Tradition: Die Bolschewiki und das azerbajdžanische Dorf 1923-1928 7. Kulturrevolution 8. „Entweder für die Kolchose oder in den Abgrund": Die Kollektivierung der Landwirtschaft 1930-1934 9. Welt ohne Erbarmen: Zivilisatorische Mission und Terror
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.622.25 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Jörg Baberowski: Der Feind ist überall. Stuttgart/München: 2003, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/17004-der-feind-ist-ueberall_19530, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 19530 Rezension drucken