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Hans Günter Hockerts

Der deutsche Sozialstaat. Entfaltung und Gefährdung seit 1945

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 199); 367 S.; 59,95 €; ISBN 978-3-525-37001-8
Hockerts, bis 2009 Ordinarius für Zeitgeschichte an der LMU München, rekapituliert die Geschichte des deutschen Sozialstaats in vier faktenreichen, gut verständlich geschriebenen Kapiteln. Zunächst beleuchtet er die Gründungsphase: In der Ära Adenauer macht der Autor die Dynamisierung der Renten als wichtigste Innovation und „Epochenzäsur“ aus, mit der „das Leistungsniveau der sozialen Sicherung erstmals deutlich über die Bedarfsgrenze des Existenzminimums“ (71) hinauswuchs – die äußerst positiv aufgenommene Reform habe entscheidend zum Triumph der Union bei der Bundestagswahl 1957 beigetragen. Der zweite Abschnitt behandelt die Entfaltung des westdeutschen Sozialstaats zur Zeit der Großen Koalition unter Kanzler Kiesinger (1966-69) sowie der sozialliberalen Regierung Brandt/Scheel (1969-1974). Als Indikator für die wohlfahrtsstaatliche Expansion führt Hockerts das Anwachsen der Sozialleistungsquote von 25,5 Prozent im Jahr 1969 auf 33,4 Prozent im Jahr 1975 an. Die Bilanz dieser (fortschritts- und planungseuphorischen) Reformära fällt dennoch zwiespältig aus: Von der arbeitnehmerorientierten Sozialpolitik profitierten zwar breite Schichten der Bevölkerung – ein Paradebeispiel ist die arbeitsrechtliche Regelung der Lohnfortzahlung –, doch hat der Staat seinen Aktionsradius überdehnt. Die Wirtschaftskrise 1973/74 markiert den Wendepunkt und setzt der Illusion stetigen Wachstums und garantierter Vollbeschäftigung ein jähes Ende. Im dritten Kapitel geht es um die auf sozialistischer Planwirtschaft beruhende DDR-Sozialpolitik, die auf das Ziel fixiert war, „den Legitimitätsanspruch der Diktatur der SED zu unterstützen“ (249). Im letzten Teil der informativen Überblicksdarstellung erörtert Hockerts die Gefährdungen, denen der Sozialstaat vor allem seit den 90er-Jahren ausgesetzt ist. Hohe Arbeitslosigkeit, leere Kassen, wachsende soziale Ungleichheit und die Zunahme prekärer Beschäftigung sind die markantesten Krisensymptome dieser Zeit, in der mit dem Abschied von der dynamischen Rente eine neuerliche Zäsur, diesmal unter negativen Vorzeichen, stattgefunden hat.
Ulrich Heisterkamp (HEI)
Politikwissenschaftler, Doktorand am Institut für Politikwissenschaft der Universität Regensburg.
Rubrizierung: 2.3 | 2.313 | 2.314 | 2.342 Empfohlene Zitierweise: Ulrich Heisterkamp, Rezension zu: Hans Günter Hockerts: Der deutsche Sozialstaat. Göttingen: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33906-der-deutsche-sozialstaat_40631, veröffentlicht am 16.06.2011. Buch-Nr.: 40631 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken