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Evelyn Schmidtke

Der Bundeskanzler im Spannungsfeld zwischen Kanzlerdemokratie und Parteiendemokratie. Ein Vergleich der Regierungsstile Konrad Adenauers und Helmut Kohls

Marburg: Tectum Verlag 2001; 343 S.; kart., 25,90 €; ISBN 3-8288-8278-1
Politikwiss. Diss. Chemnitz. - Dem "kanzlerdemokratischen Regierungsstil" ordnet Schmidtke in Anlehnung an Schreckenberger (1992) eine betont "semantisch-konzeptionelle Entscheidungsstrategie" zu, d. h. diese Art der Führung orientiere sich eher an politischen Inhalten als die "pragmatisch-personelle Entscheidungsstrategie", die zum "parteiendemokratischen" Stil Kohls gehöre. In der Kanzlerdemokratie herrschten des Weiteren konfrontationsorientierte Konfliktlösungsmuster und "voranschreitende Führung" (Carstens 1971) vor, während sich parteiendemokratische Führung durch Konsensorientierung und "abwartende Führung" auszeichne. "In der politischen Praxis weist jede Kanzlerschaft sowohl kanzlerdemokratische als auch parteiendemokratische Elemente auf" (10). "In der Regierungspraxis Adenauers sind kanzlerdemokratische Elemente vorherrschend, werden aber mit parteiendemokratischen Phasen durchsetzt." (281) Genau andersherum verhalte es sich mit Kohl. Schmidtkes zugespitzte Dichotomie ist also ein analytischer Behelf, um bestimmte Charakteristika der politischen Führung beider Kanzler herauszuarbeiten. Unter "normativen Voraussetzungen" versteht sie den (verfassungs-)rechtlichen Rahmen; auch sie selber orientiert sich analytisch weitgehend an den grundgesetzlich normierten Organen als politisch relevanten Akteuren. Während Adenauers Amtsverständnis von einem Konkurrenzverhältnis des Kanzlers zu seiner Partei ausging, sei Kohl ein solches Verständnis fremd gewesen. Die im Parlamentarismus natürliche Personalunion Kanzler-Parteivorsitzender, die sowohl für Adenauer als auch Kohl kennzeichnend war, trennt Schmidtke analytisch gewissermaßen in eine Kanzler- und eine Parteipolitiker-Hälfte. Der zeitgeschichtliche Teil des gut lesbaren, klar strukturierten Bandes handelt jeweils knapp und in chronologischer Folge die wichtigsten Ereignisse in den untersuchten Bereichen ab, wobei der Bezug zum analytischen Rahmen mitunter unklar bleibt. Gewinn bietet die Auswertung zahlreicher bislang unveröffentlichter Primärquellen aus dem Bundesarchiv sowie dem Archiv des Deutschen Liberalismus und dem Archiv für Christlich-demokratische Politik. Problematisch ist der Umstand, dass so der Führungsstil Adenauers im Kanzleramt mit glaubhaften historischen Primärquellen belegt wird, während Schmidtke für analoge Informationen über Interna Kohls und deren Bewertung über weite Strecken unkritisch auf Texte Hamburger Nachrichtenmagazine und Wochenzeitungen zurückgreift - Quellen, die nicht eben für ausgewogen-sachorientierte und damit wissenschaftlich verwendbare Berichterstattung über Helmut Kohl berühmt geworden sind. Inhaltsübersicht: Einleitung: 2. "Kanzlerdemokratie" als Begriff; 3. "Parteiendemokratie" als Begriff. 1. Normative Voraussetzungen: 1. Normative Grundlagen der Kanzlerdemokratie; 2. Normative Grundlagen der Parteiendemokratie; 3. Das Verhältnis zwischen Kanzlerdemokratieprinzip und Parteiendemokratieprinzip. 2. Persönliche Voraussetzungen Adenauers und Kohls: 1. Politische Sozialisation; 2. Entwicklung des Amtsverständnisses; 3. Der Weg zur Kanzlerschaft; 4. Persönliche Voraussetzungen Adenauers und Kohls. 3. Institutionelle Strukturen und Prozesse: 1. Das Bundeskanzleramt: Rechtliche Stellung, Vorläuferinstitutionen, Konzeptionen; 2. Entwicklung des Bundeskanzleramtes unter Adenauer; 3. Entwicklungstendenzen des Bundeskanzleramtes 1963 bis 1982; 4. Entwicklung des Bundeskanzleramtes unter Kohl; 5. Das Bundeskanzleramt zwischen Verwaltungsfunktion und Stabsfunktion. 4. Koalitionspolitische Strukturen und Prozesse: 1. Koalitionsbildungen; 2. Koalitionskonflikte. Schluß: Adenauer und Kohl: Vom kanzlerdemokratischen zum parteiendemokratischen Regierungsstil: 1. Der kanzlerdemokratische und der parteiendemokratische Regierungsstil: ein Vergleich; 2. Kanzlerdemokratie und Parteiendemokratie: Entwicklungsabschnitte und Kontinuitätselemente zugleich.
Andreas Beckmann (AB)
M. A., Doktorand, Institut für Sozialwissenschaften, Bereich Politikwissenschaft, Universität Kiel.
Rubrizierung: 2.322 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Andreas Beckmann, Rezension zu: Evelyn Schmidtke: Der Bundeskanzler im Spannungsfeld zwischen Kanzlerdemokratie und Parteiendemokratie. Marburg: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/16700-der-bundeskanzler-im-spannungsfeld-zwischen-kanzlerdemokratie-und-parteiendemokratie_19185, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 19185 Rezension drucken