Der Begriff des Politischen des Bundesverfassungsgerichts
Van Ooyen konstatiert einen Bedarf an politikwissenschaftlicher Analyse der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Sie könne zeigen, dass die aus juristischer Sicht „unpolitische“ Rechtsprechung sehr wohl in einer sie beeinflussenden Denktradition politischer Philosophie steht. Die provokante These lautet: „Der Begriff des Politischen des BVerfG ist der Begriff des Staates, der zusammen mit dem Begriff des ‚Volkes’ (‚Staatsvolk’) in einer antipluralistischen Tradition der deutschen Staats- und Verfassungslehre steht.“ (17) Dieses Verständnis geht im weitesten Sinne auf Hobbes, Rousseau und Hegel zurück, wird jedoch durch die Rezeption der Klassiker seitens Schmitt, Smend, Triepel und Leibholz vermittelt, erhält so sein spezifisches Kolorit und verhindert die vollständige Verankerung eines pluralistischen Verständnisses von Bürger und Verfassung einer offenen Gesellschaft in der Rechtsprechung des Gerichts. Van Ooyen weist seine These im Verlauf der Arbeit mittels der exemplarischen Analyse ausgewählter Urteile (u. a. Parteienfinanzierung, Asyl-Kompromiss) nach, die in den Abschnitten Grundrechte, Parteien, Beamtentum, Demokratie und pluralistische Gruppen, Einheit und Integration, Europa sowie Verfassungsgerichtsbarkeit selbst eingeordnet wurden. Innerhalb der einzelnen Kapitel werden die jeweiligen politischen Theorien näher dargestellt und die Staats- und Verfassungslehren von Roman Herzog und Ernst-Wolfgang Böckenförde mit berücksichtigt. Van Ooyen konstatiert: „Die Urteile sind häufig bloße politische Dezisionen, die sich in apodiktischer Weise in den Bahnen fragwürdiger, weil nicht demokratischer Traditionen der ‚Staatslehre’ bewegen. Das Gericht postuliert einfach sein etatistisches Politikverständnis ohne intellektuelle Skrupel; mühelos [...] wird dabei bisweilen Grundsätzliches ‚entschieden’ – und dieser vom Gericht gerne offen gehaltene politische Entscheidungsraum noch als ‚Rechtsprechung’ mit dem Mythos ‚richterlicher Selbstbeschränkung’ hinter einer vagen ‚staatstheoretischen’ Begrifflichkeit camoufliert.“ (223 f.)