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Frank Schale / Ellen Thümmler (Hrsg.)

Den totalitären Staat denken

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2015 (Staatsverständnisse 79); 314 S.; 49,- €; ISBN 978-3-8487-1640-1
Die Reihe Staatsverständnisse bietet einen bewährten Überblick über die vielen unterschiedlichen Denk‑ und Perzeptionsweisen mit Blick auf den Staat, sein Handeln und die Verfasstheit seiner politischen Ordnung. Es überrascht, dass der Totalitarismus – immerhin eine der wirkmächtigsten Kräfte des 20. Jahrhunderts – bislang nicht thematisiert wurde, was mit diesem Band nachgeholt wird. Doch der Begriff des totalen Staates beziehungsweise des Totalitarismus ist hochumstritten. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung, so die Herausgeber, lohnt sich indes. Denn einher mit der Erörterung totaler Staatskonzeptionen geht das Nachdenken über die Grundbegriffe der staatlichen Ordnung und ihrer jeweiligen, im zeithistorischen Kontext aufgeladenen Rollenzuweisungen, Interpretationen und Deutungsmuster: „So leben vielfältige Dispute um die Begriffe Macht, Herrschaft, Souveränität oder die Grenzen des Staates von einem frühen Rückgriff auf frühe Interpreten des totalitären Staates.“ (13) Frank Schale und Ellen Thümmler sind sich sicher, dass hier ein „nicht vollständig gehobener Schatz für eine politische Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts verborgen liegt“ (15). Folgerichtig stehen ausgewählte Denker der Totalitarismusforschung und ihre jeweiligen Interpretamente, aber auch ihre Theoriebezüge im Vordergrund. Lobend zu erwähnen ist, dass weniger bekannte Autoren beziehungsweise Theorien – und nicht die „üblichen Verdächtigen“ – im Vordergrund stehen. Stellvertretend für die Vordenker der Totalitarismusforschung im ersten Kapitel steht der Italiener Luigi Sturzo, der angesichts der faschistischen Machteroberung Italiens als erster eine umfassende Analyse der Herrschaftsmerkmale lieferte und hierfür den Begriff der Totalität einführte. Das zweite Kapitel ist der Totalitarismusdiskussion innerhalb der französischen Linken gewidmet. Patrick Killian vollzieht hier das Denken Georges Batailles nach, der in seinem Werk die psychologischen Strukturen des Totalitarismus identifizierte. Im dritten Teil folgen philosophische Deutungen. Karl Popper, so zeigt Robert Christian van Ooyen in einem sehr lesenswerten Aufsatz, sieht in seinem Werk über „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“ das „moderne totalitäre Denken“ (207) bei Hegel begründet. Dieses Denken findet sich demnach in marxistischen und faschistischen Herrschaftssystemen gleichermaßen wieder, die für ihn den Rückfall in die Barbarei manifestierten. Abschließend folgen Aufsätze zum Themenkomplex Wirtschaft(spolitik) und totaler Herrschaft. Der Band möchte etablierte Narrative und Denkstrukturen aufbrechen, was ihm durch seine thematische Breite und Tiefe gelingt. Dennoch können die Aufsätze nur eine Auswahl bieten, sodass ein Folgeband zwingend wäre.
{FGI}
Rubrizierung: 5.15.465.41 Empfohlene Zitierweise: Fabrice Gireaud, Rezension zu: Frank Schale / Ellen Thümmler (Hrsg.): Den totalitären Staat denken Baden-Baden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39578-den-totalitaeren-staat-denken_48096, veröffentlicht am 31.03.2016. Buch-Nr.: 48096 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken