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Thomas Wagner

Demokratie im Zangengriff. Welche Zukunft hat die Europäische Union?

Köln: PapyRossa Verlag 2014 (Neue Kleine Bibliothek 203); 118 S.; 11,90 €; ISBN 978-3-89438-557-6
Thomas Wagner, Literaturredakteur bei der Zeitung „junge Welt“, sieht die europäische Politik „im Zangengriff von anti‑ bzw. postdemokratischen Bestrebungen“, sodass sie einen „zunehmend autoritären Charakter annimmt“ (20). Es gebe „relevante Kräfte“, die sich von einem Bundesstaat Europa ökonomische und machtpolitische Vorteile versprächen, dazu zählten das „global expandierende Industrie‑ und Finanzkapital“ (23) sowie die Spitzenpolitiker von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP. Er beobachtet das „‚unauffällige Verschwinden der Partei‑Grenzen‘“; in diesem „‚Allparteien‑Zentralismus‘“ (26) sieht er – genau wie Gertrud Höhler, die er zitiert – die Hauptgefahr für die Demokratie. Zudem pflege Bundeskanzlerin Merkel einen „bonapartistischen“, „postdemokratischen“ (27) Führungsspiel, den sie auf die europäische Ebene transferiere. Auf ihr Betreiben sei der Fiskalpakt ins Leben gerufen worden, unter Umgehung des Europäischen Parlaments, der die Kontrolle der Schwachen durch die Starken zum Ziel habe und Erstere zu bestrafen versuche. Die Option der bundesstaatlich‑föderalen Vereinigten Staaten von Europa lehnt Wagner ab, sie bedeute die Schaffung einer europäischen „imperialistischen Weltmacht“ (114). Äußerst kritisch setzt er sich mit dem Sozialphilosophen und „Parteigänger der SPD“ (38) Oskar Negt auseinander. Der von ihm propagierte Gesellschaftsentwurf Europa tauge nicht, er ziele auf die Herausbildung einer europäischen Identität, die vergleichbar wäre mit der von US‑Bürgern. „Was die Bürger eines künftig vereinigten Europas verbinden soll, ist also eine Identität nach dem Vorbild eines klassischen und eines modernen Imperiums.“ (42) Auch Herfried Münkler, Ulrich Beck und Daniel Cohn‑Bendit besetzten den Begriff des Imperiums für die EU positiv. Sechs Legitimationsstrategien für ein solches Projekt erfreuten sich besonderer Beliebtheit: „die Überwindung des Nationalismus, die Verbreitung von Demokratie und Menschenrechten, die ökologische Mission, die Simulation von mehr Bürgerbeteiligung, der Vorschlag einer Direktwahl des EU‑Kommissionspräsidenten sowie der Schutz von bürgerlichen Freiheitsrechten durch die digitale Aufrüstung der EU“ (76 f.), deren Gültigkeit Wagner anzweifelt. So stelle die europäische Bürgerinitiative keinen Beitrag zu mehr Partizipation dar und die Direktwahl des Präsidenten der Kommission würde nicht ein Mehr an substanzieller Bürgerbeteiligung bedeuten, sondern „auf die Bevollmächtigung eines Superpräsidenten zum Durchregieren im Sinne des neoliberalen Wirtschaftsregimes“ (88) hinauslaufen. Um ein soziales Europa aufzubauen, müsse die Linke in Europa, die „in Parteien, Netzwerken und sozialen Bewegungen zerfaserten Kräfte“ (114) bündeln. Außerdem sei es nicht rückständig, wenn die Entscheidungsrechte der nationalen Parlamente gewahrt blieben.
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Rubrizierung: 3.1 | 3.7 | 3.2 Empfohlene Zitierweise: Sabine Steppat, Rezension zu: Thomas Wagner: Demokratie im Zangengriff. Köln: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/38385-demokratie-im-zangengriff_46362, veröffentlicht am 07.05.2015. Buch-Nr.: 46362 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken