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Daniel Fulda / Dagmar Herzog / Stefan-Ludwig Hoffmann / Till van Rahden (Hrsg.)

Demokratie im Schatten der Gewalt. Geschichten des Privaten im deutschen Nachkrieg

Göttingen: Wallstein Verlag 2010; 390 S.; brosch., 32,- €; ISBN 978-3-8353-0250-1
Die Feststellung, dass derzeit die Bedeutungen, die die Geschichte zum einen in der Öffentlichkeit und zum anderem im Privaten einnimmt, ineinanderwachsen, steht am Anfang der interdisziplinären Beiträge, angesiedelt an den Schnittstellen von Geschichts- und Literaturwissenschaft. Aufschlussreich auch für politisch interessierte Lesende werden verschiedene Aspekte entfaltet, mit denen sich eine Demokratisierung der Geschichte vor dem Hintergrund der Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg zeigt. Bereits in den ersten Beiträgen wird deutlich, was die Herausgeber meinen, wenn sie die Aufgabe der Historiker als die eines möglichen Korrektivs zeitgeistiger Tendenzen der Erinnerungskultur beschreiben, zugleich aber auch literarischen Texten zugestehen, zwar nicht unbedingt vergangene Ereignisse bezeugen zu können, wohl aber deren Deutung. Als herausragendes Beispiel nennt Sabine Kyora sowohl die Familienromane als auch das Echolot-Projekt Walter Kempowskis. Es zeigt sich „die Fähigkeit von Literatur, eine Nahperspektive auf ein Geschehen zu inszenieren, die in der Geschichtswissenschaft nicht möglich ist“ (71). Auch den Werken von Günter Grass schreibt Michael Geyer eine Bedeutung für die Erinnerungskultur in der Nachkriegszeit sowie überhaupt das Auffinden deren Kerns zu: die Unmöglichkeit der Heimkehr. Mit dem Erscheinen der „Blechtrommel“ 1959 lasse sich zudem der Zeitpunkt bestimmen, an dem die Mehrheit der Deutschen begonnen habe, sich von der Vergangenheit abzusetzen. Außerdem geht es in den Beiträgen um die Einübung der Demokratie und ihrer neuen bzw. erneuten Verwurzelung im Privaten. Til van Rahden beschreibt, wie mit der Kritik am patriarchalischen Familienbild und der Suche nach neuen Formen der väterlichen Autorität die „Renaissance einer demokratischen Kultur“ (127) verbunden war. Thematisiert wird auch das deutsch-jüdische Zusammenleben. Anthony D. Kauders erläutert, wie es unter maßgeblicher Beteiligung der in Deutschland gebliebenen Juden gelang, Demokratie und Judenfeindschaft für inkompatibel zu erklären. Im letzten Beitrag geht Dirk Moses noch einen Schritt weiter, er schreibt in der Analyse der deutsch-jüdischen Gegenwart, dass sich in der Berliner Republik „der Selbstentwurf einer Nation mit der Frage nach historischer Gerechtigkeit“ (355) verbinde.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.35 | 2.313 | 2.314 | 2.315 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Daniel Fulda / Dagmar Herzog / Stefan-Ludwig Hoffmann / Till van Rahden (Hrsg.): Demokratie im Schatten der Gewalt. Göttingen: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/33367-demokratie-im-schatten-der-gewalt_39915, veröffentlicht am 24.03.2011. Buch-Nr.: 39915 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken