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Demokratie gestalten – zum Verhältnis von Repräsentation und Partizipation

11.12.2017
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Anke Rösener, Diplom-Politologin

Folgt man den jüngeren Umfragen und Gegenwartsdiagnosen, so ist die repräsentative Demokratie mindestens in eine Schieflage geraten. Zu den Kennzeichen dieser Krise zählen der Rückgang der Wahlbeteiligung und ein wachsendes Legitimationsdefizit, eine abnehmende Bindungskraft der großen politischen Parteien sowie ein genereller Vertrauensverlust gegenüber Parteien und Politik. Im Gegenzug entwickeln sich neue Formen von sozialer und politischer Partizipation und des Protestes. Vielfach wird die Ausweitung der direkten Demokratie als Lösung propagiert und an die Hoffnung auf eine Verbesserung der demokratischen Qualität geknüpft.

Mit diesem Themenschwerpunkt wird anhand von empirischen wie theoretischen Studien und Beiträgen das Spannungsfeld von Repräsentation und Partizipation näher betrachtet. Unter Partizipation werden dabei sowohl die vielfältigen Formen der politischen Beteiligung und direkten Demokratie als auch das weite Feld des zivilgesellschaftlichen Engagements gefasst. Ziel ist es, die verschiedenen Aspekte und Standpunkte zu diesem Thema aufzugreifen, auf Zusammenhänge und aktuelle Forschungsfragen hinzuweisen und zur weiteren Diskussion anzuregen.

Thomas Mirbach beleuchtet in seinem Literaturbericht die theoretische Debatte über Repräsentation, soziale Ungleichheit und Partizipation. Er erörtert vor allem das kontrovers betrachtete Verhältnis von Repräsentation und Demokratie und diskutiert am Beispiel zweier gegensätzlicher Narrative über den Formenwandel der Repräsentation (Bernard Manin versus Simon Tormey) deren Anschlussfähigkeit an gestiegene Partizipationsbedürfnisse in der Form der direkten Demokratie. Auch Peter Graf Kielmansegg setzt sich mit den Krisensymptomen der repräsentativen Demokratie auseinander. In seinem Buch „Repräsentation und Partizipation. Überlegungen zur Zukunft der repräsentativen Demokratie“ formuliert er, aufbauend auf einen historischen Vergleich verschiedener Sichtweisen über die repräsentative Demokratie, Anforderungen an eine „sinnvolle Partizipation“. Ergänzend finden sich zwei Auswahlbibliografien über Krisendiagnosen zur Demokratie sowie zum Verhältnis von Partizipation und Repräsentation. In einer weiteren Übersicht weren einschlägige Forschungsaktivitäten sowie Plattformen und Netzwerke zur Förderung der demokratischen Kultur und Bürgerbeteiligung vorgestellt.

Die Chancen und Risiken der direkten Demokratie sind das Thema der Sammelrezension Zwischen normativem Anspruch und politischer Realität. Sie werden ebenso von Angelika Vetter und Uwe Remer-Bollow in ihrer Einführung zum Thema Bürgerbeteiligung erörtert. Das Lehrbuch bietet eine systematischen Überblick über die vielfältigen Beteiligungsformen und deren gesellschaftlichen Potenziale. Als bedeutsames Element gilt der Bürgerhaushalt, den wir im Sinne einer demokratischen Innovation näher vorstellen. Sebastian H. Schneider hat in seiner Dissertation über Bürgerhaushalte in Deutschland eingehend untersucht, was Menschen dazu bewegt, sich am Prozess der kommunalen Haushaltsaufstellung zu beteiligen. Ergänzend bietet eine Literaturschau Einblick in die bisherigen Erfahrungen und die demokratischen Potenziale von Bürgerhaushalten. In dem Digirama „Das demokratische Miteinander stärken“ sind online frei verfügbare Forschungsberichte, Aufsätze und Positionspapiere zusammengestellt, in denen Hindernisse und Erfolgsfaktoren für die Stärkung von politischer Partizipation und zivilgesellschaftlichem Engagement untersucht und diskutiert werden. Die Angebote des Deutschen Bundestag zur Online-Beteiligung stellen Britta Oertel et al. vor und untersuchen unter anderem deren Wirkungen auf die Parlamentsarbeit. Ob mit einer Ausweitung direktdemokratischer Elemente Partei und Volk wieder stärker zu verkoppeln wären, ist eine der Fragen, die in dem Sammelband Parteienstaat – Parteiendemokratie erörtert werden. Parteien sind auch das Thema von zwei weiteren Büchern, die vorgestellt werden. Lars Holtkamp wirft einen (nach Meinung des Rezensenten zu) kritischen Blick auf die Parteiendemokratie und -forschung in Deutschland und in dem Sammelband „Democratizing Candidate Selection“ werden Aspekte der innerparteilichen Demokratie in neu gegründeten Parteien erörtert. Dass sich die etablierten institutionellen Formen der politischen Beteiligung abgenutzt haben und die Artikulation politischer Belange sich unehmend in Form sozialer Proteste ereignet, ist die Ausgangsthese der Herausgeber*innen des Leviathan-Sonderbandes „Protest in Bewegung“.

In zwei Beiträgen werden zudem die Rolle und die Bedingungen des zivilgesellschaftlichen Engagements exemplarisch beleuchtet. Daniel Weyermann beschreibt die Arbeit und das gesellschaftspolitische Potenzial von Zivildiensten am Beispiel der Schweiz. Susanne Dengel befasst sich mit Maßnahmen zur Förderung des Ehrenamtes in der Musik vor. Auf die Anfänge und den Wandel der Zivilgesellschaftsforschung blickt Rupert Graf Strachwitz zurück und berichtet über die Forschungspraxis des Meacenata-Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft. Darüber, wie es gegenwärtig um die Zivilgesellschaft bestellt ist, geben zwei weitere Vorträge Aufschluss. Jürgen Kocka sieht die Zivilgesellschaft im Aufwind und verweist auf ihre starke Heterogenität und Fluidität sowie eine wachsende Politisierung. Die Trennlinien zu Markt und Staat seien durchlässiger geworden. Eckhard Priller befasst sich mit der Zukunft der zivilgesellschaftlichen Organisationen. Diese seien auf die künftigen Herausforderungen, die beispielsweise der demografische Wandel, soziale Schließungsmechanismen oder die Digitalisierung nach sich ziehen werden, nicht ausreichend vorbereitet. Ohne Visionen und eine langfristige Programmatik drohe ihnen, auf die sprichwörtliche Lückenbüßerfunktion beschränkt zu bleiben. Ebenso befasst sich Roland Roth mit den gegenläufigen Tendenzen der Zivilgesellschaft und stellt diesen die Idee einer vielfältigen Demokratie gegenüber.

Nicht alle, die als Demokraten und Demokratinnen sozialisiert wurden, müssen dies ihr Leben lang bleiben, heißt es in der Rezension der Studie von Hendrik Lange über die Determinanten der Demokratiezufriedenheit. Darin fragt er, wie Einstellungen zur Demokratie mit ökonomischen Aspekten zusammenhängen, wobei sowohl der tatsächliche ökonomische Status als auch die subjektiv wahrgenommene wirtschaftliche Situation berücksichtigt werden.

Eine andere Perspektive auf das Thema bietet Fritz R. Glunk mit seinem Buch „Schattenmächte“, in dem er eine schleichende Entdemokratisierung durch transnationale Netzwerke beschreibt. Bei der Ausbreitung dieser Netzwerke handele es sich um einen erfolgreichen Versuch der Ökonomie, ihre eigenen Regelwerke durchzusetzen. Glunk weist den Nationalstaaten hierbei eine Doppelrolle zu, wonach diese einerseits von vereinheitlichten Regularien profitierten, andererseits durch ihre Beteiligung an solch informell entstandenen Regelwerken ihre eigene demokratische Legitimation infrage stellten.

Vorgestellt wird außerdem der von Tom Mannewitz herausgegebene Sammelband „Die Demokratie und ihre Defekte“, der, schreibt Sven Leunig in seiner Rezension, eine Tour d’Horizon durch grundsätzliche und aktuelle Probleme der Demokratie darstellt, ohne sie grundsätzlich für unreformierbar zu halten.

Dieser Themenschwerpunkt wird fortlaufend um weitere Beiträge ergänzt.

 

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