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David Ranan: Muslimischer Antisemitismus. Eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland?

30.07.2018
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Autorenprofil
Dr. rer. pol. Wahied Wahdat-Hagh
Bonn, Dietz Verlag 2018

Der Politikwissenschaftler und ehemalige israelische Soldat David Ranan möchte beweisen, dass der muslimische Antisemitismus eigentlich nicht existiert und der israelisch-palästinensische Konflikt als ein ungelöster territorialer Konflikt anzusehen sei. Bei diesem Territorialstreit habe sich Israel militärisch durchgesetzt und daher seien die militanten Reaktionen der Araber und Palästinenser nicht per se antisemitisch. Es handele sich um nachvollziehbare Reaktionen auf die israelische Politik. Ranan schreibt zugleich, dass die Formen, Sprache und Idiomatik vieler arabischer Muslime an die Vorurteilswelt des abendländischen Antisemitismus erinnere. Dies habe er in den 70 Interviews, die er mit jungen muslimischen Intellektuellen geführt habe, festgestellt. Aber diese Vorurteile hätten „eine klare Beziehung zu realen Umständen“. Er beschwichtigt folglich: „Daher wäre es falsch zu versuchen, solche Aussagen einfach mit dem Antisemitismusvorwurf zu belegen.“ (159)

Ranan zeigt mit seinem Ansatz Verständnis für den Hass auf Israel, wenn er schreibt, dass „Muslime, und besonders Araber, die amerikanische Unterstützung Israels als antipalästinensisch, antiarabisch und gar antimuslimisch verstehen und aus der Warte eines allgemeinen Kulturkrieges betrachten“ (158).

Um die Territorialthese zu bekräftigen, weswegen es eigentlich keinen muslimischen Antisemitismus gebe, lehnt Ranan die Vorstellung vom Staat Israel als jüdisches Kollektiv ab. Damit eine „Anti-Israel-Einstellung überhaupt in die Antisemitismusdefinition eingebracht werden kann, wurde ein Konstrukt gebaut“ (40), gemäß dem Israel als ‚kollektiver Jude‘ gesehen und als solcher gehasst werde. Ranan selbst unterscheidet zwischen Juden und Israelis – zumal es keineswegs so sei, dass alle „Diaspora-Juden Unterstützer Israels“ (170) seien.

Ranan führt den territorialen Konflikt auf den „Anspruch am Land Israel als Heimatland der Juden und als legitimer Fokus für die jüdische Selbstbestimmung in einem nationalen Rahmen“ (162) zurück. Die Araber wollten jedoch keine jüdische Heimstätte haben. Die israelischen Araber seien in „einer wenig beneidenswerten Lage“ (164). Denn sie seien einerseits gezwungen und verpflichtet, dem Staat Israel gegenüber loyal zu sein, „während sie verständlicherweise mit dem Herzen bei ihren palästinensischen Brüdern [sind], die während des Krieges von 1948 entweder geflohen oder vertrieben worden waren“ (165).

Der Autor sieht nur einen unlösbaren territorialen Konflikt und bietet keineswegs positive Lösungsperspektiven für ein friedliches Zusammenleben von Arabern, Christen und anderen gemeinsam mit Juden in Israel.

Vor diesem Hintergrund sind aus der Sicht von Ranan letztlich Vorurteile und Verschwörungstheorien gegen Israel verständliche Reaktionen. Ranan stellt fest, dass es Verschwörungstheorien gäbe, wie Ritualmord-Beschuldigungen oder die „Leugnung oder Relativierung des Holocaust“ (173). Er schreibt den besonders umstrittenen Satz, dass „die Behauptung, dass antiisraelische Äußerungen, deren Quelle offensichtlich der territoriale Streit um Palästina ist, antijüdisch und damit antisemitisch sind, […] unehrlich“ (210) sei.

Damit lehnt Ranan selbst implizit die Legitimität eines UN-Staates und letztlich das Widerstandsrecht dieses Staates gegen terroristische Anschläge ab. Er stellt nicht das Existenzrecht Israels, sondern einen territorialen Konflikt in den Vordergrund und delegitimiert mit dieser Relativierung das Verteidigungsrecht eines UN-Staates.

Um seine These zu untermauern, schlägt Ranan über die Stränge, wenn er Verständnis für die antisemitischen Verschwörungstheorien aufbringt. Er fragt rhetorisch, ob die Araber vielleicht doch Recht hätten, wenn sie „an jüdisches Geld, jüdische Macht und jüdische Verschwörungen glauben“ (150).

Inzwischen kann man täglich lesen und sehen, wie israelische Wälder und Ländereien in Brand gesteckt werden, und niemand zweifelt daran, wer sich dagegen stellt, dass aus der Wüste über Jahrzehnte kultivierte Landschaften entstanden sind. Aber ausgerecht Ranan, der darauf pocht, dass man zwischen Juden und Israelis unterscheiden müsse, schreibt, dass Ministerpräsident Netanjahu und dessen Minister behauptet hätten, dass die 200 Waldbrände, die Ende 2016 ausbrachen, „antiisraelische Terroraktionen seien, von Palästinensern getätigt, die eine ‚Feuer-Intifada‘ gestartet hätten“ (151).

Heute zweifelt niemand, dass extremistische Palästinenser israelische Ländereien und Wälder in Brand setzen, dennoch schreibt Ranan ernsthaft: „Die Beschuldigung war zwar gegenstandslos und konnte nicht bewiesen werden, diente aber der israelischen Regierung, antiarabische Gefühle zu schüren, und bot denjenigen, die es gerne glauben wollten, einen weiteren vermeintlichen Beweis für die Perfidie der Araber.“ (151)

Tabula rasa mag eine Strategie sein, wenn ein Autor fast allen existierenden Analysen zu einem Thema widerspricht, sie relativiert und ablehnt, um schließlich die eigene These zu legitimieren. Ranan, der selbst Jude ist, kritisiert die Expertisen der American Jewish Community, der Anti-Defamation League oder von Wissenschaftlern wie Robert Wistrich, um nur einige wenige zu nennen. Er warnt, dass Studien von in Deutschland renommierten Wissenschaftler*innen wie Andreas Zick und Beate Küppers von Israel „missbraucht“ (80) werden könnten, weil diese nicht ausreichend den Unterschied zwischen Juden und Israelis herausarbeiteten.

Nur wenige Autoren finden Ranans Zustimmung: Der britische Philosoph Brian Klug liefere einen akzeptablen Ansatz in Bezug auf die Frage, was der Antisemitismus beinhalte. Klug gehe davon aus, dass nur wenn die Feindseligkeit gegen den „Juden als Jude“ (203) nachweisbar sei, man von Antisemitismus sprechen könne. Dies trete aber bei einem Territorialkonflikt nur bei sehr extremistischen Positionen auf. Man müsse sich mit den „Faktoren, die Frust, Ärger, Zorn und Hass zu Gewalt werden lassen“ (209), beschäftigen. Der Hass gegen Israel sei auf einen territorialen Konflikt und auf daraus erwachsenen Vorurteilen zurückzuführen. Ranan zeigt ein Herz für die Feinde Israels und verurteilt jeden, der das Existenz- und Verteidigungsrecht eines legitimen UN-Staates verteidigt.

Der Autor, der in Israel aufgewachsen ist, bemüht das Argument, dass eine „allgemein gültige Definition des Antisemitismus“ (30) nicht existiere. Deswegen könne man kaum den muslimischen Antisemitismus definieren. Er will damit auch die deutsche Gesellschaft beruhigen und gibt beschwichtigend Entwarnung: Der muslimische Antisemitismus sei zwar immer unangenehm, „manchmal sogar bedrohlich, aber eine Gefahr für den gesellschaftlichen Frieden ist er nicht“ (209).

Ranan hat siebzig Interviews mit jungen muslimischen Intellektuellen geführt, die im Ergebnis der Analyse nicht besonders überzeugend sind. Der Autor räumt selbst ein, dass seine Interviews „nicht repräsentativ“ (196) seien, und betont, dass der Judenhass unter Muslimen nicht unabänderlich sei. Die Frage ist, welche bedeutenden Ansätze in der Politik und Wissenschaft überhaupt davon ausgehen, dass alle Muslime Juden hassen müssen oder gar hassen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Ranan seine eigenen Erfahrungen als israelischer Soldat verarbeitet, ohne dies in diesem Buch zu thematisieren.

Ranan hält eine vorurteilsfreie Gesellschaft zwar für wünschenswert, aber illusorisch. Das Problem ist, dass der Autor selbst Vorurteile produziert, wenn er das Selbstverteidigungsrecht eines souveränen UN-Staates infrage stellt, aber letztlich Verständnis für die Vorurteile und die Gewalt der arabisch-palästinensischen Seite aufbringt. Vor diesem Hintergrund kommt er zu dem tatsächlich falschen Ergebnis, dass man den Antisemitismus als „Schreckgespenst“ (210) nicht dort an die Wand malen sollte, wo kein Antisemitismus zu finden sei, wie Ranan beschwichtigend behauptet. Seine Schlussfolgerungen aber sind nicht überzeugend.

 

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