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Thomas Raithel

Das schwierige Spiel des Parlamentarismus. Deutscher Reichstag und französische Chambre des Députés in den Inflationskrisen der 1920er Jahre

München: R. Oldenbourg Verlag 2005 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 62); IX, 631 S.; Ln., 64,80 €; ISBN 3-486-57683-6
Habilitationsschrift LMU München. – Raithel zeigt in der Gegenüberstellung von Reichstag und Chambre des Députés, dass in beiden Ländern aufgrund der Orientierung an einer strikten Gewaltenteilung ein negativer Parteienbegriff vorherrschte, der jedoch in Deutschland unter Rückgriff auf scheinbar homogene Begriffe wie „Volk“ und „Staat“ erfolgte. Die Kritik der Parteien schloss die des Parlamentarismus mit ein. Das Auseinanderbrechen der Weimarer Koalition 1922 basierte auf den komplexen Entwicklungen innerhalb der SPD und DVP sowie auf dem konsensorientierten Handeln Eberts. Die Preisgabe zentraler parlamentarischer Funktionen in einer großen Koalition und die extensive Anwendung von Artikel 48 müssen vor dem Hintergrund der patriotischen Stimmung während des Ruhrkampfes interpretiert werden. Die Errungenschaften der folgenden Kabinette wurden mit dem funktionalen Niedergang des Parlamentarismus erkauft. Obwohl die Inflationskrise 1924 in Frankreich ähnliche Tendenzen aufwies, unterschied sich die Situation insofern, als das Parlament präsidentielle Eingriffe nicht hinnahm. Das mit der Abwahl Poincarés, dem Sieg des Cartel des Gauches und dem Rücktritt Millerands belohnte Selbstvertrauen des Parlaments erscheint als Weichenstellung für die seit 1934 extensiv angewendete Praxis des parlamentarisch kontrollierten Verordnungsregimes. Dennoch vollzog sich die Schwächung des parlamentarischen Systems in Frankreich aufgrund des verbreiteten unzureichenden Verständnisses der fundamentalen Bedeutung von Parteien in einer Demokratie. Obwohl die militärischen Ursachen für den Zusammenbruch der Republik offenkundig sind, lässt sich festhalten, dass die Pauschalermächtigung an Pétain „eine logische Konsequenz verfassungspolitischer Ratlosigkeit“ (564) war. Raithel kommt überzeugend zu dem Schluss, dass sich – aufgrund der Blockierung eines modernen parteipolitischen Parlamentarismus – die prekäre deutsche und ambivalente französische Entwicklung nur begrenzt kontrastieren lassen.
Frank Schale (FS)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.311 | 2.61 Empfohlene Zitierweise: Frank Schale, Rezension zu: Thomas Raithel: Das schwierige Spiel des Parlamentarismus. München: 2005, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/23808-das-schwierige-spiel-des-parlamentarismus_27363, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 27363 Rezension drucken