Skip to main content
Nicholas John Williams

Das Gedächtnis Kubas. Die Revolution im Interview

Marburg: Tectum Verlag 2011; 304 S.; pb., 29,90 €; ISBN 978-3-8288-2663-2
Völlig richtig bemerkt Williams gleich in den ersten Sätzen, dass eine fast unüberschaubare Fülle an Literatur zur kubanischen Revolution existiert. Dennoch gelingt es ihm, einer weiteren Betrachtung bemerkenswerte – und dezidiert keine objektiven – Einsichten abzugewinnen. Sein Ausgangspunkt ist die Frage, was die Revolution im Innersten zusammenhält. Warum kann ein Regime mit augenfälligen ökonomischen und demokratischen Defiziten überleben? Während es im Falle der DDR erst nach ihrem Untergang möglich war, dem nachzugehen, versucht Williams diese Frage sozusagen am offenen Herzen zu beantworten. Seine Analyse basiert auf einem Oral-History-Projekt, er führte auf Kuba 32 Interviews, ergänzt durch verschiedene Quellen. Williams sucht nach den Überschneidungen des persönlichen sowie des öffentlich vermittelten und auch kollektiven Gedächtnisses, angelehnt an die Konzepte von Maurice Halbwachs und Aleida Assmann. Ein Abriss der Geschichte, aufgebaut auf kubanischer Literatur, erleichtert es, die Aussagen der Interviewten einzuordnen. Hervorgehoben wird u. a., dass die USA nach dem Ende der spanischen Kolonialherrschaft die Bevormundung der Kubaner übernahmen, deren Monokultur auf den Zuckerexport in die USA ausgerichtet war und der Diktator, der von Revolutionären um die nach wie vor alles überstrahlende Führungsfigur Castro gestürzt wurde, willkürlich und mit Gewalt über oftmals arme und hungernde Menschen herrschte. In den Interviews spiegelt sich diese Wahrnehmung; die älteren Menschen können aus eigener oder familiärer Erfahrung von wirtschaftlicher Not und Staatsterror berichten. Ihrer Ansicht nach hat Castro sie aus einem perspektivlosen Leben befreit. Auf diese Generation wie auf die ihr folgende, die Kubas aktive Zeiten auf internationaler Bühne (etwa den Einsatz in Angola) miterlebt hat, stütze sich das sozialistische Regime nach wie vor, so Williams. Untermauert wird die Ansicht, dass mit der Revolution eine bessere Zukunft angebrochen war – so ist es den abgedruckten Interviews zu entnehmen –, durch die Politik der Revolutionäre vor allem in der Anfangsphase, als sie das Bildungs- und das Gesundheitssystem ausbauten. Die Revolution wird also, so die zentrale These des Autors, durch einen Konsens zusammengehalten. Die Interviews mit jüngeren Menschen zeigen allerdings, dass diese Legitimation bröckelt, zumal neben den wirtschaftlichen Schwierigkeiten immer deutlicher wird, dass die „politischen Möglichkeiten“ fehlen, auf „diese Probleme aufmerksam“ (133) zu machen. Die Darstellung ist in sich schlüssig; dass sie zutrifft, kann angesichts der leider schmalen Datenbasis nur vermutet werden.
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.65 | 2.25 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Nicholas John Williams: Das Gedächtnis Kubas. Marburg: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34619-das-gedaechtnis-kubas_41602, veröffentlicht am 01.03.2012. Buch-Nr.: 41602 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken