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Christian Weisflog

Das explosive Erbe der Sowjets. Von Kaliningrad nach Kabul. Eine politische Reportage

Zürich: Orell Füssli 2012; 224 S.; geb., 19,95 €; ISBN 978-3-280-05442-0
Seine langjährige Tätigkeit als Korrespondent in Russland sowie zahlreiche ausgedehnte Reisen in die anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion und nach Afghanistan resümiert Weisflog in diesem Reportageband. Der flüssig geschriebene und gut lesbare Text lebt vor allem von der Schilderung zahlreicher Begegnungen mit Einheimischen, die ihre Hoffnungen und Sehnsüchte in Bezug auf die Entwicklung ihres Heimatlandes mitteilen. Der Autor bietet viele interessante Einblicke in politische, wirtschaftliche und kulturelle Verhältnisse, ohne allzu sehr in die Tiefe zu gehen. Immer wieder wird die Hoffnung vieler Befragter auf eine engere Anbindung an die Europäische Union und/oder die NATO deutlich. Die europäische Politik scheint in den Augen der Einheimischen jedoch wenig geeignet, diese Hoffnung zu erfüllen: „Europa geht weg und wir bleiben alleine in Asien“ (134), wird etwa ein georgischer Autor zitiert. Nur gelegentlich schimmert durch, dass andere Teile der Bevölkerung vom europäischen Demokratiemodell nicht überzeugt sind. Angesichts der Verwerfungen nach der Auflösung der UdSSR wird von ihnen eher die Herrschaft eines starken Mannes bevorzugt, wie ihn Wladimir Putin in Russland oder Aljaksandr Lukaschenka in Belarus repräsentieren. Die Demokratie erscheint demgegenüber als wesensfremd und nicht zur Mentalität der Leute passend, wie ein orthodoxer Priester in Kaliningrad ausführt. Manche Themen – beispielsweise der Georgienkrieg und die Rolle Micheil Saakaschwilis oder das Wirken Michail Chodorkowskis vor dem gegen ihn angestrengten Schauprozess – werden von Weisflog leider recht einseitig und unkritisch behandelt, die beiden genannten Personen nur wenig differenziert eingeordnet. Gelungen ist demgegenüber das Nachzeichnen der vielen ungelösten Konflikte unterschiedlichster Art im gesamten postsowjetischen Raum, die das Erbe der ehemaligen Großmacht tatsächlich als ein „explosives“ erscheinen lassen.
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 2.2 | 2.62 | 2.68 | 2.61 | 2.25 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Christian Weisflog: Das explosive Erbe der Sowjets. Zürich: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34987-das-explosive-erbe-der-sowjets_42087, veröffentlicht am 29.03.2012. Buch-Nr.: 42087 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken