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Andrew Keen

Das digitale Debakel. Warum das Internet gescheitert ist – und wie wir es retten können. Aus dem Englischen von Jürgen Neubauer

München: Deutsche Verlags-Anstalt 2015; 318 S.; geb., 19,99 €; ISBN 978-3-421-04647-5
Bestand mit Blick auf die gesellschaftlichen Möglichkeiten des Internets noch vor wenigen Jahren eine Euphorie, verschaffen sich inzwischen auch in Deutschland immer mehr kritische Stimmen Gehör. Der Gegensatz zwischen dem leichtgläubigen Umgang breiter Nutzerkreise mit ihren persönlichen Daten im Netz einerseits und den immer noch scheinbar wenigen Internet‑Warnern andererseits könnte dabei nicht größer sein. Vielleicht veranlasst gerade dieses Missverhältnis die Kritiker zu immer drastischeren Kassandrarufen. Auch Andrew Keen macht gleich in seinem Vorwort deutlich, dass das Netz „keine neue Renaissance“ anstoße, sondern eine „egozentrische Kultur des Voyeurismus und Narzissmus“ (8) hervorbringe. Aus politikwissenschaftlich‑analytischer Sicht stelle das Internet – da ist Keen zuzustimmen – eine Herausforderung dar, da es als eine explizit unpolitische „Revolution des 21. Jahrhunderts“ (13) daherkomme und sich auch als Gegenentwurf zu etablierten Unternehmensvorstellungen verkaufe, aber implizit ungeheure politische Implikationen aufweise. Denn die Netzwerkgesellschaft zeichne sich durch eine „frappierende Ungleichverteilung von Wohlstand und Macht“ (17) aus und degeneriere Privatheit inzwischen zu einem „Luxusgut“ (19). Nach einer profunden Darstellung zur Entstehung des Internets wendet sich Keen der monetären Dimension der „Googlenomics“ (69) als einem neuen globalwirtschaftlichen Oligopol weniger großer Internet‑Konzerne zu. Im Kapitel „Die zerstörte Mitte“ (95) beleuchtet er dann, wie die durch das Internet geschaffene künstliche Intelligenz die Arbeitsmärkte, die Sozialsysteme und den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht, da Einkommensdisparitäten wachsen. Auch mit den Auswirkungen des Internets auf das Individuum und sein Selbstverständnis befasst sich Keen. So führe das (neue) Followerprinzip der sozialen Netzwerke eben nicht zu einer „kulturellen Demokratie“, sondern zu einem „neuen Feudalismus“, der es Stars und Sternchen erlaube, „über gewaltige Armeen von loyalen Voyeuren“ (130) zu gebieten. Die „Revolution der Personalisierung“ (133) habe dazu geführt, dass das Private heute nicht mehr politisch, sondern „wirtschaftlich“ (135) sei. Keen bleibt – im Gegensatz zu vielen anderen Autoren – nicht bei seiner an Metaphern reichen Defizitanalyse stehen. Im Schlusskapitel „Die Antwort“ skizziert er mögliche Lösungsansätze – selbst wenn diese aus heutiger Sicht utopisch erscheinen: „Die Antwort ist, das Internet mit Gesetzen und Verordnungen aus seiner Dauerpubertät zu holen“. Dabei müsse die Kontrolle „nicht unbedingt von staatlichen Organen übernommen werden“ (264) – eine Feststellung, bei der dann doch leider wieder der apolitische Internetunternehmer durchscheint.
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Rubrizierung: 2.22.224.43 Empfohlene Zitierweise: Henrik Scheller, Rezension zu: Andrew Keen: Das digitale Debakel. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39142-das-digitale-debakel_46727, veröffentlicht am 03.12.2015. Buch-Nr.: 46727 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken