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Matthias Naß: Countdown in Korea. Der gefährlichste Konflikt der Welt und seine Hintergründe

18.12.2017
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Autorenprofil
Natalie Wohlleben, Dipl.-Politologin
München, C. H. Beck 2017

Der scheidende US-Präsident Barack Obama soll gegenüber seinem Nachfolger Donald Trump das Streben Nordkoreas nach Atomwaffen als die größte Bedrohung Amerikas benannt haben. Er selbst hatte sich um des Weltfriedens willen in einer „‚strategischen Geduld‘“ (14) geübt mit dem Ziel, dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un keinen politischen Resonanzboden zu bieten – dieser sollte nicht in die Lage versetzt werden, die Agenda der internationalen Sicherheitspolitik zu bestimmen. US-Präsident Trump dagegen scheint der Ansicht zu sein, das Regime in Pjöngjang einschüchtern zu können, und drohte Nordkorea eine „Vernichtung mit ‚Feuer und Zorn‘“ (7) an. Die Weltgemeinschaft wähnt sich damit am Rande eines Atomkriegs, weshalb der Titel „Countdown in Korea“ kaum überzogen erscheint. Matthias Naß, langjähriger Redakteur der Zeit und seit 2011 ihr Internationaler Korrespondent, schildert in seinem Buch die Genese dieses Konflikts und die Interessen der involvierten Akteure, blickt aber auch auf Nord- und Südkorea selbst – zwei Staaten, die mittlerweile unterschiedlicher kaum sein könnten. Dabei bietet Naß keine einfache Chronologie, sondern erzählt die Zusammenhänge, wobei er seine eigenen Beobachtungen, Gespräche und Recherchen auf der koreanischen Halbinsel um Erkenntnisse aus Thinktank-Berichten und der Fachliteratur ergänzt.

Im ersten, umfangreicheren Teil des Buches steht Nordkorea im Mittelpunkt, Ausgangspunkt sind einfache, aber zentrale Fragen: „Warum legt sich Nordkorea mit der ganzen Welt an? Warum fordert es die Supermacht Amerika heraus? Warum provoziert es China, den einzigen Partner, der ihm geblieben ist? Warum gönnt dieses bettelarme Land dem eigenen Volk nicht ein wenig Wohlstand, sondern steckt stattdessen Abermilliarden in die atomare Rüstung?“ (24). Die naheliegende Antwort ist simpel und zeugt von dem psychopathischen Charakter des Regimes: Das Regime glaubt, nur als Atommacht politisch überleben zu können, so der Befund von Naß ebenso wie aller anderen Studien zum Thema.

Der Autor rekapituliert die Entwicklung ab dem ersten atomaren Wissenstransfer aus der Sowjetunion 1956, drei Jahre nach Beendigung des Korea-Kriegs durch einen Waffenstillstand. Der lange Prozess der Aufrüstung beginnt und es ist nicht verlässlich zu rekonstruieren, so zeigt die Analyse von Naß, ob das Regime in Pjöngjang überhaupt jemals ernsthaft bereit gewesen ist, das Ziel seiner atomaren Aufrüstung vollständig aufzugeben. Eine Bestätigung der Ansicht dagegen, nur atomar aufgerüstet unangreifbar zu sein – zur Erinnerung: Nordkorea hatte den Krieg 1950 begonnen –, erkannte das Regime dann in der Rede von US-Präsident George W. Bush im Januar 2002. Dieser erklärte Iran, Irak und Nordkorea zur „‚Achse des Bösen‘“ (32). 2003 begann der Irak-Krieg, zu dem es nach Ansicht des nordkoreanischen Regimes nicht gekommen wäre, hätte Saddam Hussein über Atombomben verfügt. Die entsprechenden Anstrengungen Nordkoreas sind augenscheinlich erfolgreich: Am 3. September 2017 führte es seinen sechsten Atomversuch durch; seismografische Messung legen nahe, dass es sich um eine Wasserstoffbombe gehandelt haben könnte.

Nordkorea will sich atomar bewaffnen, die USA dieses verhindern. Selbstverständlich sind sie aber nicht die einzigen am Konflikt beteiligten Staaten. Südkorea will unbedingt einen neuen Krieg auf der Halbinsel vermeiden, ebenso China, das einen wirtschaftlichen Schaden befürchtet und daher inzwischen sogar Sanktionen unterstützt – zugleich aber nicht in der Lage ist, die grenzüberschreitende Schattenwirtschaft zu unterbinden, wie Naß schildert. Ähnlich wie Südkorea rüstet Japan inzwischen selbst auf und hält wieder Luftschutzübungen ab. Aus der Darstellung lässt sich weder herauslesen, dass die Drohgebärden Trumps einen Politikwechsel des nordkoreanischen Regimes bewirken werden noch dass über die neue Freundschaft des US-Präsidenten mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jingping ausreichend Druck aufgebaut werden kann, um einen Kurswechsel Nordkoreas zu erzwingen.

Dieses Phänomen der letztlich über Jahrzehnte sturen Kompromisslosigkeit des Regimes leuchtet der Autor in dem Kapitel „Das Regime der Kims“ aus, zusammengetragen werden Beobachtungen und Berichte über eine Herrschaft, die aus einer bis in die 1970er-Jahre hinein gut entwickelten Region ein Armenhaus gemacht hat, in dem Schätzungen zufolge in den 1990er-Jahren bis zu einer Million Menschen verhungert ist. Die Lager, in denen die eingesperrt werden, die der Regimeuntreue verdächtigt werden, sollen jeweils Landkreisgröße haben, die Lebensverhältnisse barbarisch sein. Es ist nicht zu übersehen, dass der einzelne Mensch in Nordkorea nicht zählt, wirtschaftliche und humanitäre Hilfe von außen also als im Zweifelsfall verzichtbar angesehen wird. In jüngster Zeit scheint diese rigorose Haltung insofern abgemildert worden zu sein, da kleine private Märkte erlaubt wurden und die Schattenwirtschaft blüht. Durch den Kontext liegt es nahe, dass das Regime mit diesen Maßnahmen auch wieder nur das eigene Überleben im Blick hat.

Diese Zustände kontrastiert Naß im letzten Teil seines Buches mit der schwierigen und schließlich erfolgreichen Entwicklung Südkoreas von der Diktatur zur Demokratie mit einer durchsetzungsfähigen Zivilgesellschaft. Auch an Versuchen, mit einer „Sonnenscheinpolitik“ – die an Willy Brandts „Wandel durch Annäherung“ erinnerte – die Beziehungen zum Norden der Halbinsel zu verbessern, hat es nicht gefehlt, vergeblich. Angesichts der Eskalation der Bedrohungslage durch die fortgesetzten Raketentests im Norden und die kriegerische Rhetorik Trumps wächst nun aber in der südkoreanischen Bevölkerung die Zustimmung zur Forderung, eigene Atomwaffen zu bauen – das niemals von beiden Staaten aufgegebene Ziel einer Wiedervereinigung rückt damit in noch weitere Ferne.

Dennoch, trotz der mangelnden Verhandlungsbereitschaft Nordkoreas, müsse dem wirtschaftlichen Druck auf das Land und der militärischen Abschreckung „ein glaubwürdiges Angebot zum Dialog“ beigefügt werden, schreibt Naß abschließend. „Denn dass aus der Konfrontation kein Krieg wird, muss das Ziel aller Politik bleiben.“ (183)

 

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