Außen- und Sicherheitspolitik
Mischa Hansel / Sebastian Harnisch / Nadine Godehardt (Hrsg.): Chinesische Seidenstraßeninitiative und amerikanische Gewichtsverlagerung. Reaktionen aus Asien
12.07.2019Eine Straße zeichnet sich dadurch aus, dass sie befahren wird. Es gibt Einbahnstraßen, Straßen mit gefährlichen Kurven, abschüssige Straßen oder solche, die zu wunderschönen Zielen führen. Welcher Art die Seidenstraßen-Initiative der chinesischen Staatsregierung sein wird, muss sich erst noch herausstellen. Die einen sehen wirtschaftliche Chancen durch massive chinesische Investitionen in asiatische, europäische und afrikanische Infrastrukturen – die anderen den Versuch, eine chinesisch geprägte Einflusssphäre durch eine Art Wiederherstellung und Ausweitung des jahrhundertealten chinesischen Tributsystems zu schaffen.
Die Belt and Road Initiative (BRI), zentrales Element der Außenpolitik des chinesischen Präsidenten Xi Jinping, bildet auch im Westen zunehmend Gegenstand von politischen und politikwissenschaftlichen Fachdiskussionen. Gerade in Europa wird aber durch die alles absorbierende mediale Aufmerksamkeit gegenüber US-Präsident Donald Trump schnell vergessen, wie die USA mit ihrem unter dem Vorgänger Barack Obama lancierten US Pivot to Asia versuchen, dagegenzuhalten. Vergleiche der beiden Strategieansätze finden sich selten und noch weniger wird (in Europa) analysiert, wie beide geostrategischen Initiativen auf dem eigentlichen Schachbrett, auf das sie abzielen, wirken – wie sie also bei den kleineren und mittleren Mächten in Asien selbst ankommen. Dies näher auszuleuchten, ist das Ziel des gut 325 Seiten starken Sammelbandes von Mischa Hansel, Sebastian Harnisch und Nadine Godehardt. Das Buch geht zurück auf eine von der Stiftung Wissenschaft und Politik initiierte Tagung der beteiligten knapp 20 Autorinnen und Autoren.
Eingerahmt wird der in drei Regionen (Ostasien, Südostasien, Zentral- und Südasien) unterteilte Sammelband von zwei Aufsätzen der Herausgeber. Dies ist in doppelter Hinsicht wichtig. Zum einen waren Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Theorieansätze eingeladen, sich an dem Band zu beteiligen und entsprechend unterschiedlich ist die theoretical lens, mit der auf den Gegenstand geblickt wird. Zum anderen gelingt es den Herausgebern, durch ein Korsett an vier eingangs formulierten Leitfragen, die zehn Aufsätze einigermaßen in einer Spur zu halten. So schaffen sie es, am Ende eine Antwort auf die eine Kernfrage zu geben: Welchen Einfluss üben die beiden Initiativen auf die Außen- und Sicherheitspolitik der analysierten Staaten aus?
Ergebnis Nummer eins: BRI (im Tagungsband noch veraltet OBOR für One Belt, one Road genannt) und US Pivot sind vor allem das, was die kleineren und mittleren Staaten aus ihnen machen. In keinem Fall ergab sich eines der Länder bedingungslos den strategischen Wünschen einer Großmacht – egal welcher. Es überwogen eher austarierende Ansätze. In einer sehr wertvollen Grafik auf Seite 318 wird eigentlich fast alles auf den Punkt gebracht: Während die US-Alliierten Japan (stärker) und Südkorea (schwächer) im US-Lager zu verorten sind, können Thailand, Vietnam und Russland als Austarierer zwischen den Initiativen bezeichnet werden. Indien und Taiwan verbleiben aus sehr spezifischen Gründen stumm BRI und Pivot gegenüber. Nur Nordkorea steht – quasi als Nachhall der auf Autarkie setzenden Chuch'e-Doktrin – in Opposition zu beiden Initiativen.
Ergebnis Nummer zwei: Nicht selten gelingt ein interessanter Blick auf Details und kaum beleuchtete Aspekte. So arbeiten Becker und Godehardt beispielsweise heraus, dass es bei den medial vielfach verarbeiteten Konflikten im Südchinesischen Meer kaum um substanzielle Fragen geht. Statusstreben ist eher die Ursache für die zwischen den USA und China aufgeheizte Situation. Die beiden Autoren machen etwa glaubhaft deutlich, wie verwundbar die von China auf den künstlich geschaffenen Riffen stationierten Truppen gegenüber US-Angriffen zum Beispiel vom philippinischen Inselarchipel wären. Im Falle Thailands hingegen wird deutlich, dass der Konflikt zwischen China und den USA eher mit den bekannten Eliten-Auseinandersetzungen zwischen Gelb- und Rothemden korreliert – wobei keine Partei einer der beiden Großmächte zuneigt. Vielmehr dreht sich der Konflikt um lukrative Zugänge zu den jeweiligen Initiativen, weswegen die Großmächte aus innenpolitischen Gründen von Rot- und Gelbhemden gegeneinander ausgespielt werden. Erstaunlich ist indessen das Maß, in dem die USA scheinbar in Thailand an Boden verloren haben. Jeder, der in Bangkok einmal vor der gewaltigen US-Botschaft stand und dem die Rolle Thailands als altgedienter außenpolitischer Partner Washingtons bekannt ist, wird sich über die beschriebenen Entwicklungen wundern.
An einigen Stellen stören die zahlreichen Rekurse auf Theoriegebäude Internationaler Beziehungen. Von liberalen über realistischen bis neomarxistischen Ansätzen ist alles vertreten und zum Ende des Bandes wird auch hier eine Übersichtsmatrix geboten, die Theorieansatz und hieraus identifizierte Einflüsse auf die Außenpolitik des jeweiligen Landes nachzeichnet. Das ist hilfreich, doch auch für die Fachwelt hätte man den gesamten Theorieapparat schlanker abhandeln können, wie es etwa Becker und Godehardt in ihrem Beitrag zur Sicherheitspolitik im Südchinesischen Meer geleistet haben. Zumal die teilweise überbordenden Theorieexkurse nicht selten gepaart sind mit einer überakademisierten Sprache. Vor allem der Aufsatz zu Südkorea fällt hier negativ auf. Einfache Sachverhalte werden theoretisch aufgebläht. Zum Beispiel: Vietnams Neigung, auf wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China zu setzen, dies sicherheitspolitisch aber durch Kooperationen mit den USA auszugleichen, kann man genau so ausdrücken und muss es nicht wie auf Seite 180 sprachlich über die Maße verkomplizieren.
Kritisch zu sehen sind die völlig unterschiedlichen Indikatoren, die die einzelnen Autoren für ihre Länderanalysen heranziehen. Die einen zählen Kriegsschiffe und verweisen auf Militärvereinbarungen, die anderen analysieren Auslandsinvestitionen oder untersuchen Eisenbahnbauvorhaben. Dieses bunte Set an Erkennungsmerkmalen ist zum Teil gewiss den unterschiedlichen Theorie-Ansätzen geschuldet, doch an dieser Stelle hätten die Herausgeber noch stärker lenkend eingreifen dürfen. Denn der vermutlich erhoffte Kaleidoskop-Effekt endet eher in einem Potpourri der Beliebigkeit. Das ist schade, denn das Buch ist wichtig für die Diskussion und die finalen Ergebnisse der Überlegungen der beteiligten Autorinnen und Autoren müssen sich keineswegs verstecken.
Einen Hinweis jedoch sollte man dem Verlag noch mit auf den Weg geben: Das Buch könnte etwas robuster gefertigt sein. So löst es sich bei mehreren Zugfahrten in der Aktentasche doch schnell in seine Bestandteile auf. Und beim Redigieren wurden zahlreiche Formatierungswechsel nicht erkannt und beseitigt. Sollte es eine Neuauflage geben, was man dem interessanten und informativen Band wünschen mag, sollten diese behoben werden.