Robert R. Bianchi: China and the Islamic World. How the New Silk Road is Transforming Global Politics
05.11.2019
China und die islamische Welt. Wie die Neue Seidenstraße die globale Politik verändert
Wenn ein Unternehmen heutzutage in einem fremden Kulturkreis eine große Investition tätigt, dann darf wie selbstverständlich erwartet werden, dass sich dieses zuvor intensiv mit der anderen Kultur beschäftigt hat. Ansonsten drohen Investitionen schnell katastrophal zu scheitern. Sollte nicht dieselbe sorgfältige Vorbereitung auch von Ländern erwartet werden dürfen – zumal deren politische Entscheidungsträger nicht dem Diktat der Gewinnerzielung unterliegen und daher fremden Kulturen viel besser gerecht werden könnten?
Der nach eigener Auskunft zehn Sprachen sprechende Privatgelehrte Robert R. Bianchi stellt eine spannende These auf: Chinas Investitionen in die Neue Seidenstraße (inzwischen besser bekannt unter dem Titel Belt and Road Initiative, kurz BRI) sind zu einem großen Teil in der islamischen Welt geplant, aber die chinesische Führung ist aus seiner Sicht auf diese ebenso wenig vorbereitet wie auf mögliche Rückkopplungseffekte aus islamischen Ländern in die chinesische Gesellschaft. Chinas Führung versucht derzeit, verschiedene Weltregionen durch Infrastrukturkorridore stärker miteinander zu vernetzen und baut transkontinental neue Straßen, Häfen und Eisenbahnlinien. Dieser von Ingenieuren und Technokraten besetzten chinesischen Führung wirft der Autor vor, sich in nicht ausreichendem Maße mit den kulturellen Besonderheiten vor Ort beschäftigt zu haben, insbesondere, dass sich eine agnostische beziehungsweise gar atheistische chinesische Führung nicht mit religiösen Fragen islamischer Gesellschaften befasst hat.
Der Titel dieses Buches suggeriert, der Verbindung zwischen dem modernen China und der heutigen islamischen Welt tiefer auf den Grund zu gehen. Leider hält der von Oxford University Press herausgegebene und ansprechend gestaltete Band dieses Versprechen nicht ein. Das Buch ist für all diejenigen, die sich Erkenntnisse über China und sein Verhältnis zum Islam und zu islamischen Gesellschaften versprochen haben, eine Enttäuschung.
Dies liegt vor allen Dingen an mangelnder Stringenz und fehlender Tiefenschärfe. Bianchi dekliniert nicht durch, anhand welcher Indikatoren man die Verbindung des modernen Chinas mit seinen islamischen Nachbarn analysieren sollte. So mäandern vor allen Dingen die Länderstudien (Pakistan, Türkei, Indonesien, Iran, Nigeria und Ägypten) vor sich hin. Zwei Grafiken werden in der Regel immer geboten: der Importüberschuss chinesischer Waren in das jeweilige Land und die Steigerung der Investitionen Chinas in die jeweilige Nation. Die Aussagekraft dieser durchaus bekannten Fakten ist aber begrenzt und die übrigen gelieferten Daten sind bunt gemischt. Was lässt sich im Fall Indonesiens beispielsweise wirklich aus der seitenlangen Darstellung der Wahlergebnisse des der Blasphemie beschuldigten, chinesischstämmigen und ehemaligen Gouverneurs von Jakarta herauslesen? Wozu bedarf es einer fast genauso langen Analyse der türkischen Referendumsabstimmung zur Umgestaltung der laizistischen Verfassung?
Nein, die Verbindung dieser Daten mit dem Kernthema ist auf den zweiten Blick mindestens brüchig, wenn nicht gar dürftig. Ein wenig wirkt es, als ob der Autor schlicht und ergreifend Daten zusammengetragen hat, die einfach und schnell verfügbar waren. Nicht selten haben diese gar nichts mit dem eigentlichen Thema des Islam zu tun. Im Fall Pakistans wird dies anhand der Investitionen für Eisenbahnlinien deutlich: Regionale, wirtschaftsgeografische Streitigkeiten waren Auslöser für Veränderungen der ursprünglichen Planungen. Doch hierzu gibt es bereits ausreichend Literatur, im Deutschen etwa den Sammelband von Mischa Hansel, Sebastian Harnisch und Nadine Godehardt: Chinesische Seidenstraßeninitiative und amerikanische Gewichtsverlagerung. Reaktionen aus Asien.
Und die Thematisierung der angedeuteten Rückkopplung chinesischer Expansion in islamische Räume auf die muslimischen Minderheiten in China vermisst der/die aufmerksame Leser*in. Hierzu schreibt Bianchi im Grunde nichts und gerade hier wären Analysen des chinesisch sprechenden Muslims Bianchi für westliche Leser höchst spannend gewesen.
Vom Tenor scheint das Buch in erster Linie für einen amerikanischen Markt geschrieben zu sein. Immer wieder kritisiert der Autor, dass China keine Demokratie ist und die Regierung in Fragen der Partizipation ihre eigene Bevölkerung gängelt und kleinhält. Dem mag man zustimmen, ob die wohlfeile Kritik weiterführt, ist ein anderes Thema.
Dabei sind Bianchis Gedanken spannend und des Räsonierens wert. Was geschieht, erstens, auf gesellschaftlicher Ebene, wenn die politisch gewollten und mit hoher Ingenieurkunst geschaffenen Korridore tatsächlich zu einer besseren Integration der durch sie verknüpften Großräume führen? Die EU ist ja ein gutes Beispiel dafür, dass Integration nicht auf den Markt beschränkt bleibt, sondern diverse gesellschaftliche, kulturelle und politische Rückkopplungseffekte schafft. Zweitens bedarf es in der Tat einer tiefschürfenden Analyse, um zu ergründen, wie die muslimische Minderheit in China und die chinesische Diaspora in Asien zum politischen Spielball werden könnten, ausgelöst durch eine erfolgreiche Neue Seidenstraße. Mindestens China könnte – ohne dies zu wollen – durch die BRI tiefer in süd- und südostasiatische Außenpolitik hineingezogen werden. Davor hatte Deng Xiaoping zu seinen Lebzeiten immer gewarnt. Drittens hat der Autor recht mit seiner Einschätzung, dass viele der notwendigen BRI-Partner (zum Beispiel eine sehr selbstbewusste Türkei) mitnichten passive Mitmacher Pekings sein werden, sondern eigene Ideen, Ziele und Interessen verfolgen werden, die politisch bislang noch nicht in ausreichendem Maße in die Seidenstraßeninitiative eingepreist sind. Viertens kann man zumindest seinem Gedanken folgen und in der BRI auch einen Hebel sehen, der innerhalb Chinas die Selbstwahrnehmung der chinesischen Kultur in eine noch nicht vorhersehbare Richtung transformieren könnte. Wie sich das Selbstbild Chinas bereits gewandelt hat, lässt sich im neunten Kapitel „Islam and the Opening of the Chinese Mind“ nachlesen.
Der Autor bezeichnet die Seidenstraßeninitiative für den Augenblick als „soulless engineering“. Damit dürfte er ebenso einen Treffer landen wie mit dem daraufhin folgenden Zitat: „Exaggerated attention to physical and economic infrastructure overshadows the greater importance of the social and cultural networks they are supposed to sustain.“ (150)
Insgesamt präsentiert der Autor eine spannende Kernthese und einige interessante Gedanken. Bedauerlich ist nur, dass er diese auf den etwa 160 Textseiten, die sich schnell und zügig lesen lassen, nicht tiefschürfender und konsequenter durchdenkt, sondern eher oberflächlich abhandelt und mit nur halbwegs passenden Zahlen, Daten und Fakten flankiert. Angesichts eines ausgesprochen beeindruckenden, sechzig Seiten umfassenden Literaturverzeichnisses ist dies verwunderlich und bedauerlich.