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Régis Debray

Brief an einen israelischen Freund. Aus dem Französischen von Ursula Varchmin

Hamburg: LAIKA Verlag 2011 (laika diskurs); 108 S.; 14,90 €; ISBN 978-3-942281-03-4
Mit diesem als Brief an den Historiker und ehemaligen israelischen Botschafter in Frankreich Élie Barnavi deklariertem Essay hat Debray in seinem Land für einiges Aufsehen gesorgt. Dies liegt nicht nur an der schillernden Biografie, die Debray als Begleiter Che Guevaras im bolivianischen Urwald und als außenpolitischer Berater von François Mitterrand vorweisen kann und die ihm an sich schon Gehör verschafft, sondern vor allem an der einseitigen Position, die er einnimmt. Zwar moniert er eingangs die Zustände in den palästinensischen Gebieten, „dass die Moralordnung auf Gaza lastet wie eine bleierne Decke. Oder die Korruption, die Unfähigkeit auf Seiten der palästinensischen Autorität, die keine Autorität besitzt. Aber man tadelt keinen Besiegten, der bereits am Boden liegt.“ (10) Damit hat er sich den Weg freigemacht für eine umfangreiche Kritik an Israel, das er als „‚Kolonialstaat’“ (18) bezeichnet – wenn auch nur in Anführungszeichen. Der Zionismus wird bei ihm schlicht zum Landraub. Das Kapitel über den Antisemitismus nutzt Debray vor allem, um die Stigmatisierung der Muslime in Frankreich zu kritisieren. Auch hat er kein Verständnis dafür, dass ein israelischer Regierungssprecher sich im Radio äußern darf „ohne eine palästinensische Gegenstimme“ (33). In seiner Argumentation ist es dann ein kleiner Schritt, den Missbrauch der Erinnerung an den Holocaust zu behaupten: „Die Opfer sind dermaßen Opfer, dass sie nicht mehr verantwortlich sind.“ (45) Die Geschichte erstarre, während zugleich in Europa die Vernichtung der Juden „das paneuropäische, postnationale Bewusstsein“ (51) zusammenschweiße. Debray erinnert aber daran, dass nicht die Shoah den Staat gegründet habe, sondern dieser durch eine Mehrheitsentscheidung der Vollversammlung der Vereinten Nationen möglich geworden sei. Und er verweist darauf, dass aufgrund der Geburtenraten die arabische Bevölkerung in einigen Jahren die Mehrheit stellen werde – fast macht es den Eindruck, als wolle er damit Israel bedeuten, die Zeit werde es sowieso zur Geschichte werden lassen. Auf die geradezu kokette Aussage, sein Briefpartner werde seine Argumentationsweise „skandalös“ (79) finden, reagiert Barnavi in der als Anhang abgedruckten Antwort knapp und gelassen, er könne den Brief bis „auf Nuancen“ (91) unterschreiben. Allerdings wendet Barnavi sich dann doch deutlich gegen eine allzu schablonenhafte Wahrnehmung von Zionismus, Antisemitismus und Erinnerung, außerdem schreibt er: „Ich könnte erwidern, dass der Besiegte nicht automatisch an dem Unglück, das ihn getroffen hat, unschuldig ist.“ (94)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.23 | 2.61 | 2.63 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Régis Debray: Brief an einen israelischen Freund. Hamburg: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/34703-brief-an-einen-israelischen-freund_41712, veröffentlicht am 29.03.2012. Buch-Nr.: 41712 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken