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Samuel Salzborn

Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne. Sozialwissenschaftliche Theorien im Vergleich

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2010; 378 S.; kart., 29,90 €; ISBN 978-3-593-39187-8
Politikwiss. Habilitationsschrift Gießen; Gutachter: P. Schmidt, K. Fritsche, A. Pelinka. – Es gibt viele sozialwissenschaftliche Antisemitismustheorien und empirische Analysen, doch bisher keine umfassende Studie, die beides verbindet. Salzborn analysiert und vergleicht Theorien wie die von Freud, Simmel, Horkheimer/Adorno, Postone und Holz. Bei der empirischen Überprüfung konzentriert sich der Autor in einer qualitativen Analyse auf den sekundären (Schuldabwehr-)Antisemitismus – zum einen, da dieser die anderen Formen des Antisemitismus inkorporiert, zum anderen, weil er sowohl die Dimensionen des Manifesten und des Latenten als auch jene der Kognition und der Emotion in gleichem Maße berührt. Ausgehend vom Survey „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ aus dem Jahr 2005 wurden eine Stichprobe gezogen und Tiefeninterviews mit sieben Teilnehmern geführt, bei denen der sekundäre Antisemitismus besonders ausgeprägt war. Salzborn begreift die entworfene Politische Theorie des Antisemitismus nicht als einen Teil bürgerlicher Vergesellschaftung, sondern als Theorie der bürgerlichen Gesellschaft selbst. Strukturelle wie individuelle Faktoren zusammenfassend kommt er zu dem Schluss, beim Antisemitismus handele es sich letztlich um eine Art zu denken und zu fühlen: „Antisemitismus ist zugleich Unfähigkeit wie Unwilligkeit, abstrakt zu denken und konkret zu fühlen; im Antisemitismus wird beides vertauscht, das Denken soll konkret, das Fühlen aber abstrakt sein [...] – was sowohl die intellektuelle, wie die emotionale Perspektive einer Inversion unterzieht, die psychisch aufgrund ihrer Dichotomie zu inneren Konflikten führen muss.“ Auf der weltanschaulichen Ebene sei Antisemitismus damit eine „dezisionistische Haltung zur Welt, eine radikale bewusste wie unbewusste Entscheidung für den kognitiven und emotionalen Glauben an den Manichäismus der antisemitischen Phantasie.“ (334) Mit der Studie wird eine bedeutende Forschungslücke geschlossen. Sie ermöglicht detaillierte Einblicke in die Entstehungs-, Kontext-, und Entwicklungsbedingungen des Antisemitismus – allerdings mit der Einschränkung, dass diese sich vornehmlich auf christlich geprägte Gesellschaften beziehen und weniger Aussagekraft zur Erklärung beispielsweise des islamischen Antisemitismus besitzen.
Jan Schedler (JS)
Diplom-Sozialwissenschaftler, wiss. Mitarbeiter, Fakultät für Sozialwissenschaft, Ruhr-Universität Bochum.
Rubrizierung: 5.42 | 5.46 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Jan Schedler, Rezension zu: Samuel Salzborn: Antisemitismus als negative Leitidee der Moderne. Frankfurt a. M./New York: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/32206-antisemitismus-als-negative-leitidee-der-moderne_38416, veröffentlicht am 19.10.2010. Buch-Nr.: 38416 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken