Andrew Small: The Rupture. China and the Global Race for the Future
30.05.2023Unsere Gegenwart ist maßgeblich davon geprägt, wie sich die zunehmenden Spannungen und Konflikte zwischen China und dem Westen entwickeln. Andrew Small hat mit „The Rupture: China and the Global Race for the Future“ eine aufschlussreiche Darstellung der sich verändernden Beziehungen zwischen China und dem Rest der Welt vorgelegt, lobt unser Rezensent Falk Hartig. Small gehe dabei bis in die 2000er-Jahre als der Phase einer „beinahe unverschämten gegenseitigen Begeisterung“ von China und Europa zurück und zeichne in der Folge nach, wie es dennoch zum titelgebenden Bruch gekommen sei. (tt)
Eine Rezension von Falk Hartig
Andrew Small ist mit The Rupture: China and the Global Race for the Future eine aufschlussreiche Darstellung der sich verändernden Beziehungen zwischen China und dem Rest der Welt gelungen. Er beschreibt, dass Chinas geopolitische Ambitionen nicht mehr nur durch das wirtschaftliche Wachstum der Volksrepublik getrieben sind, sondern sich immer deutlicher und immer öfter in Streitigkeiten mit anderen Großmächten manifestieren. Das Buch bietet einen detaillierten Einblick in die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Veränderungen, die China in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat, und es zeigt, wie diese Veränderungen die Beziehungen zwischen China und der Welt beeinflusst haben.
Auch wenn diese detaillierten Einblicke an der einen oder anderen Stelle – zumindest für den Geschmack des Rezensenten – vielleicht etwas zu ausführlich ausfallen, kann man dem China-Experten des German Marshall Funds eines nicht hoch genug anrechnen: Er war in den letzten Jahren auf der ganzen Welt unterwegs und kann daher anschaulich die Auswirkungen des chinesischen Aufstiegs beschreiben. Nicht nur hat er regelmäßig seine Kontakte aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft in den wichtigsten westlichen Hauptstädten, auf der Münchner Sicherheitskonferenz oder Neu-Delhi befragt, ebenso besuchte Small beispielsweise die pakistanische Hafenstadt Gwadar in der Provinz Belutschistan, das Laamu-Atoll im Süden der östlichen Inselkette der Malediven oder traf Gesprächspartner*innen in Kabul oder Vilnius.
Es war gegenseitige Begeisterung – fast Liebe …
Small beginnt seine Analyse mit einem Rückblick auf eine Zeit, die zwar gerade einmal rund 20 Jahre zurückliegt, was sich aber wie eine Ewigkeit anfühlt. Er beschreibt die frühen 2000er-Jahre als eine Periode der „beinahe unverschämten gegenseitigen Begeisterung“ von China und Europa (5). Die chinesische Politik sei der Ansicht gewesen, dass „mehr Europa“ eine gute Sache sei und Europa habe in Peking als der „gütigere“ Teil der westlichen Macht gegolten (9).
Und auch Europa wollte mehr von China. Aus Sicht Europas habe Peking zunehmend mehr globale Verantwortung übernehmen sollen und können: eine gemeinsame Entwicklungsagenda für Afrika unterstützen, sich an Friedensmissionen in den unterschiedlichsten Krisenregionen der Welt beteiligen – insgesamt also einen Beitrag dazu leisten, dass „das System, von dem Chinas wirtschaftliche Interessen abhingen, reibungslos funktionierte“ (9).
Das sei „kein fortschrittliches China, kein demokratisches China, aber eben auch kein aggressives oder totalitäres China“ (8) gewesen, sondern ein Land, in dem „der Platz für Selbstreflektion und Kritik“ wieder zu wachsen schien, das den Eindruck zunehmender Möglichkeiten erweckt habe angesichts eines „Wirtschaftsbooms, der nie zu enden schien“ (7). Das, so beschreibt es Small und man liest die Enttäuschung in diesen Zeilen, „war das China, in das sich Leute wie ich verliebt hatten“ (7).
Als China 2001 der Welthandelsorganisation beitrat, glaubten viele politische Entscheidungsträger*innen, dass das Land ein verantwortungsbewusstes Mitglied der Weltgemeinschaft werden würde. Heute aber sei Chinas Vorgehen von einer „kratzbürstigen Streitlust“ (16) geprägt und während die Globalisierung vielen noch immer als Rahmenwerk für Handel und Wachstum gilt, sehe China sie offenbar als Grundlage für eine Hierarchie mit sich selbst als treibender Kraft. Wie, fragt Small, kam es zu diesem titelgebenden „Bruch“ in Chinas außenpolitischen Ambitionen?
5G und Huawei – der Kampf um die globale technologische Führung
Small beschreibt eine Reihe unterschiedlicher Themen, sieht aber einen entscheidenden Auslöser in den Versuchen der von Peking unterstützten Firma Huawei, weltweit eine 5G-Infrastruktur aufzubauen und sie als Kontrollmittel zu nutzen.
Beim Umgang mit 5G und Huawei, dem „5G-Drama“, wie Small es nennt (16), habe sich etwas Grundlegendes geändert: China setze Regierungen nicht mehr (nur) unter Druck, wenn sie sich mit dem Dalai Lama trafen oder Taiwan unterstützten. Jetzt gehe es darum, ob andere Länder bereit seien, chinesischen Firmen Zugang zur kritischen Infrastruktur zu gewähren.
Allerdings verweigerten sich dem viele Länder, was in China für Verärgerung sorgte. Australien war 2018 das erste Land, das Huawei ablehnte und andere folgten, vor allem auf Drängen der USA. Der Umstand, dass Huawei in der globalen 4G-Architektur bereits sehr präsent war, war aus Sicht der USA ein Umstand, mit dem man in anderen Ländern leben konnte, auch wenn man selbst die Risiken nicht habe eingehen wollen. Die Nutzung der Huawei-Technologie in 5G-Netzen stelle allerdings ein Sicherheitsrisiko anderen Ausmaßes dar. Daher galt es, vor allem Deutschland und Großbritannien zu überzeugen, nicht auf Huawei zu setzen. Denn für Peking und Washington sei klar gewesen, dass der Umgang mit 5G und Huawei einen Präzedenzfall hinsichtlich Chinas Drangs nach „globaler technologischer Führung“ (63) darstelle. In Deutschland wird seit Jahren über die Beteiligung chinesischer Technologieunternehmen an den 5G-Mobilfunknetzen diskutiert und verschiedene Ministerien wägen Warnungen der Geheimdienste gegen wirtschaftliche Interessen ab. Doch erst im März 2023 sickerte durch, dass die Regierung wohl ein Verbot von Huawei und ZTE im deutschen Netz plane.
Es bleibe abzuwarten, wie die Entscheidung in Berlin tatsächlich ausfällt und wie Peking darauf reagiert – ob mit Beleidigungen und Androhungen von Vergeltungsmaßnahmen, oder doch mit etwas ganz anderem.
Covid-19 als Verstärker der gegenseitigen Irritationen
Als der Westen gerade begann, sich gegen Chinas zunehmend aggressives Verhalten in der Außenwirtschaftspolitik zusammenzuschließen, brach in Wuhan Covid-19 aus. Und der Umgang damit stellt für Small einen zweiten dramatischen Bruch zwischen der Volksrepublik und vielen westlichen Ländern dar.
In Europas Hauptstädten, so Small, habe es weder Ansätze von „Schadenfreude“ noch irgendwelche Andeutungen gegeben, die Situation „zu politisieren“ (131). Im Gegenteil. Man habe die extreme innenpolitische Anfälligkeit erkannt, sich mit Schuldzuweisungen zurückgehalten, 60 Tonnen medizinisches Material, oft aus eigenen strategischen Lagerbeständen, geliefert und all dies „diskret – auf Bitten von Peking“ (ebenda) getan. Und dennoch begann China eine Desinformationskampagne, die behauptete, das Virus stamme aus den USA oder Italien und lehnte jegliche Verantwortung für die Pandemie ab.
Dabei, so skizziert es Small, seien nicht einmal die „Vertuschungen“ rund um Covid-19 der Hauptgrund für die Spannungen zwischen China und den meisten Ländern im Jahr 2020 (149) gewesen. Es sei vielmehr Pekings Aggressivität und „Streitlust genau in dem Moment [gewesen], in dem alle von den wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und politischen Auswirkungen einer Pandemie erschüttert wurden“, die aufgrund Pekings Missmanagement nicht eingedämmt worden sei (149).
Chinas Unterstützung für Russland
Einen weiteren Punkt der Entfremdung stelle Chinas Unterstützung für Russland seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine dar. Laut Small sei man in militärstrategischen und mit der Außenpolitik befassten Kreisen Chinas von der Annexion der Krim 2014 beeindruckt gewesen, diese gelte als „kühnes und erfolgreiches Manöver“ (213), auch wenn man einige Bedenken hinsichtlich der „darauffolgenden Aktivitäten in der Ostukraine“ gehabt habe (ebenda).
Seit Ausbruch des Krieges übt sich China nun in einem Drahtseilakt. Einerseits möchte man durch zu viel Nähe zu Putins Russland nicht zum Außenseiter werden, zugleich wolle man Russland als Gegengewicht zum Westen erhalten.
China, so Small, habe darauf gewettet, dass ein sich im Abschwung befindlicher Westen nicht zu einer „kollektiven Mobilisierung fähig“ sei (225). Allerdings habe Peking beobachten müssen, wie das Land, von dem sich China strategische Vorteile versprach, nun dabei half, „genau die Koalitionen und Instrumente der wirtschaftlichen Kriegsführung zustande zu bringen, die man eigentlich verhindern wollte“ (225).
Vom Chaos anderer profitieren, aber selbst kein Chaos auslösen?
Welche Konsequenzen Peking daraus mit Blick auf Taiwan ziehen wird, bleibt abzuwarten. Insgesamt muss derzeit festgehalten werden, dass die Beziehungen zwischen China und dem Westen auf einem (neuen) Tiefpunkt angelangt sind.
Die Bilder mutmaßlicher Spionageballons aus China, die über mehreren Ländern entdeckt wurden, sind noch präsent. Die Gerüchte über mögliche Waffenlieferungen aus China an Russland verstummen nicht und der Konflikt um Taiwan verliert nichts an seiner drohenden Dramatik. Erst auf dem jüngsten Volkskongress Anfang März 2023 pochte der aus dem Amt scheidende Ministerpräsident Li Keqiang erneut auf die Eingliederung des demokratischen Inselstaates in die chinesische Volksrepublik.
Auf dem Volkskongress warnte auch Außenminister Qin Gang die USA davor, die angespannten Beziehungen durch Provokationen weiter zu belasten. Gleichzeitig, und das verdeutlicht die komplexe Gemengelage, schlug er gegenüber Europa friedlichere Töne an und rief es dazu auf, unabhängiger von den USA zu werden.
Wie sich diese Konflikte und Friktionen entwickeln werden, scheint derzeit unklarer als je zuvor. Anders als Russland, so schreibt Small, sei China bisher nicht an einem „zivilisatorischen Konflikt“ interessiert gewesen oder habe das europäische Projekt nicht als solches zerstören wollen. „China war immer zufrieden damit, von Chaos zu profitieren, aber war [bis dato] noch nicht bereit, selbst Chaos auszulösen“ (119).