Anatomie des totalitären Denkens. Kommunistische und nationalsozialistische Weltanschauung im Vergleich
Wohl wissend, dass er ein heißes Eisen anfasst, scheut Lothar Fritze den Vergleich zwischen kommunistischer und nationalsozialistischer Ideologie dennoch nicht. Er tut dies, um in beiden Diktaturen funktionale Äquivalenten zu finden, die den „Täter-mit-gutem-Gewissen“-Typus (13) erst ermöglicht hätten – ein Topos, mit dem sich Fritze in vorherigen Monografien bereits auseinandergesetzt hat. Dafür beruft er sich in erster Linie auf Reden wie Schriften von Karl Marx und Adolf Hitler. Ideologische Strömungen – etwa den Maoismus – vernachlässigt er. Nach der Herauslösung der wesentlichen Strukturgleichheit – der „Ableitung der Politik aus erkannten Gesetzmäßigkeiten“ (67) – erarbeitet Fritze induktiv 30 strukturelle Parallelen der beiden Ideologien. Ganz trennscharf sind die Merkmale allerdings nicht – zum Beispiel mit Blick auf das „Unbehagen an der modernen Kultur und Zivilisation“ (161), die „Zivilisationskritik und Antisemitismus“ (168) und „Hoffnungen auf eine zivilisatorische Neuorientierung“ (172). Überdies scheint es, die Verbrechen begünstigende weil legitimierende Funktion der Gemeinsamkeiten trete im Laufe des Buches in den Hintergrund zugunsten allgemeiner Parallelen. Dem wird dadurch Vorschub geleistet, dass der konkrete Zusammenhang zwischen strukturellem Merkmal und Handlung weithin unbeleuchtet bleibt. Fritze gewichtet zudem die ideologische Genese der Gründungsväter der beiden Weltanschauungen zu wenig; Gleiches gilt für die relative Bedeutung einzelner Ideologiefragmente. So erhält etwa Marx‘ Antisemitismus (geäußert etwa im wenige Seiten starken „Zur Judenfrage“) das gleiche Gewicht wie der deutlich elaboriertere dialektische Materialismus. Obwohl ein überaus aufschlussreicher wie faktengesättigter Band über strukturelle Gemeinsamkeiten der beiden Ideologien vorliegt, nimmt die Frage nach deren „Rechtfertigung von Menschenrechtsverletzungen“ (26) überraschend wenig Raum ein. Die hintangestellte Analyse inhaltlicher (!) Differenzen wirkt wie ein – wohlgemerkt: unnötiges – Feigenblatt.