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Michail Gorbatschow

Alles zu seiner Zeit. Mein Leben. Aus dem Russischen von Birgit Veit

Hamburg: Hoffmann und Campe 2013; 549 S.; geb., 24,99 €; ISBN 978-3-455-50276-3
Es ist nicht die erste Autobiografie von Michail Gorbatschow; die „Erinnerungen“, 1995 auf Deutsch erschienen und mit einer mehr als doppelt so hohen Seitenzahl versehen wie dieser Band, sind denn auch die Vorlage. Dieser erneute Rückblick ist vor allem von der Trauer Gorbatschows um seine 1999 verstorbene Ehefrau Raissa geprägt und damit von einem persönlichen Ton getragen. Der Titel – „Alles zu seiner Zeit“ – ist dabei das Leitmotiv. Gorbatschow versucht nicht, im Nachhinein dieses oder jenes zurechtzurücken, wie man vielleicht vermuten könnte, sondern schildert jeden Lebensabschnitt im damaligen Erfahrungshorizont. Die frühe Einsicht angesichts der politischen Verfolgung des bäuerlichen Großvaters darüber, dass das gesamte Fundament des sowjetischen Denk‑ und Staatsgebäudes nicht tragfähig sein kann, war dabei über die Jahre und Jahrzehnte, in denen Gorbatschow vom Parteifunktionär in der heimatlichen Provinz zum Staats‑ und Parteichef der Sowjetunion und dann Russlands aufstieg, allenfalls als dunkles Brummen zu vernehmen – es bleibt unklar, wann Gorbatschow erkannte, dass dies die lange Ankündigung eines unvermeidlichen politischen Bebens war. Unausgesprochen bleiben auch Reflexionen über die politische Legitimität des Systems (und damit die eigene), die über die Beurteilung von dessen wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit hinausgehen. Mit einer Szene, bei der sich der damals gegenwärtige und zwei zukünftige Partei‑ und Staatschefs – Breschnew, Andropow und Gorbatschow – vertraulich zum Plausch auf dem Bahnsteig eines kleinen Bahnhofs treffen, werden dagegen (vermeintliche) Fürsorglichkeit und Diskussionsbereitschaft (im engsten Kreis) der regierenden Kommunisten illustriert. Die eigene historische Leistung, die Mängel des sowjetischen Systems erkannt und eine Transformation eingeleitet zu haben sowie der Gewaltverzicht in Osteuropa (der Fall der Mauer wird allerdings mit keiner Silbe erwähnt), schildert Gorbatschow sachlich als notwendige Angelegenheit, die erledigt werden musste. Mit der Lektüre wächst der Respekt vor dieser Gradlinigkeit.
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Rubrizierung: 2.12.62 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Michail Gorbatschow: Alles zu seiner Zeit. Hamburg: 2013, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/37982-alles-zu-seiner-zeit_43800, veröffentlicht am 22.01.2015. Buch-Nr.: 43800 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken