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Alejandra Salas-Porras / Georgina Murray (Hrsg.): Think Tanks and Global Politics. Key Spaces in the Structure of Power

06.03.2019
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Autorenprofil
Dr. Jens Wassenhoven
Basingstoke, Palgrave Macmillan 2017

Thinktanks und globale Politik. Schlüsselbereiche in der Machtstruktur

Klimawandel, Dieselskandal, Energiewende – aus keinem dieser Bereiche sind Thinktanks mehr wegzudenken. Ihre Vertreter werden als Gesprächspartner in den Medien geschätzt und ihre Veröffentlichungen in Politik und Gesellschaft diskutiert; mitunter gelten sie als Impulsgeber für die Lösung von Problemen jedweder Art. Die mediale Präsenz von Thinktanks ist allenthalben erkennbar. So werden sie von der Öffentlichkeit auch mehr und mehr als eigenständige und interessengeleitete Akteure wahrgenommen, die gezielt die gesellschaftliche Debatte in Politik und Öffentlichkeit beeinflussen.

Im Allgemeinen generieren Thinktanks Wissen und/oder verbreiten es. Eine Universität beispielsweise schafft breites Wissen, das von Akteuren im politischen Prozess abgerufen wird. Diese Institution scheint ihre Rolle gleichfalls immer mehr von passiven Wissensproduzenten zu aktiven Wissensvermittlern zu ändern. Hinzu kommen stärker thematisch fokussierte Denkfabriken, wie zum Beispiel arbeitgeber- oder arbeitnehmernahe Wirtschaftsinstitute, die ihre Expertise in einem spezifischen Politikfeld entwickeln und an den Markt tragen. Ebenso gibt es Thinktanks, die eher als Plattformen oder Foren zur Informationsweitergabe beziehungsweise Diskussion dienen (zum Beispiel das World Economic Forum oder die Münchner Sicherheitskonferenz), um Wissen zu verbreiten.

Aus diesen Gründen bezeichnen Alejandra Salas-Porras und Georgina Murray Thinktanks auch als Schaltstellen in der politischen Machtstruktur (Key Spaces in the Structure of Power). Die beiden Herausgeberinnen versammeln zu diesem Themenkomplex Beiträge, die im Rahmen einer Tagung der International Sociological Association (ISA) 2016 in Wien vorgestellt wurden.

Salas-Porras und Murray untersuchen das Entstehen von neoliberalen Thinktanks im historischen Kontext. Der Aufschwung neoliberaler Thinktanks begann in den 1970er-Jahren in den Vereinigten Staaten. Die Anzahl und die Aktivitäten dieser konservativen Denkfabriken, dazu zählen zum Beispiel die Mont Pélérin Society und das Institute of Economic Affairs, seien in dieser Zeit erkennbar gestiegen. Neoliberale Programmatik beinhaltet für die Autorinnen einen markt-orientierten Staatsbegriff und eine auf das private Engagement ausgerichtete Wohlfahrtspolitik. Erst in den 1990er-Jahren sei mit der Gründung des Institute for Policy Studies und dem Economic Policy Institute eine links-orientierte Gegenbewegung entstanden. Als Gründe für die Zunahme von Thinktanks sehen die Autorinnen die Zunahme der Komplexität politischer Entscheidungen, die durch fehlendes Spezialwissen in der öffentlichen Verwaltung nicht mehr zu durchdringen sei. Zweitens spiele die geringe Mittelausstattung der (amerikanischen) öffentlichen Verwaltung eine Rolle. Denn geringe Mittel hätten es nicht ermöglicht, notwendige Kompetenzen innerhalb der öffentlichen Verwaltung aufzubauen (3). Nach Ansicht der Autorinnen sind insbesondere die Elitetheorie und die marxistische Theorie mit ihren materialistischen Bestandteilen geeignet, die Interessen und die Wirkung von neoliberalen Thinktanks heute zu erklären.

Aleksander Zielinski untersucht dahingehend beispielhaft die sogenannte Bilderberg Konferenz. Er verwendet ein Konvolut von Dokumenten der Jahre 1956-1994, das 2014 über eine Filesharing-Plattform veröffentlicht (leaked) wurde. Der Thinktank Bilderberg wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und sei bis dato weitestgehend abseits der Öffentlichkeit aktiv gewesen. Er könnte auch als ein erfolgreiches Beispiel für ein informelles transnationales Governance-Netzwerk gelten (107). Zielinski sieht die Bilderberg Konferenz im historischen Kontext als Teil einer anti-kommunistischen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Deswegen sei bei den Teilnehmern auch eine große Überlappung von Herkunfts- und NATO-Ländern festzustellen (111). Ein Großteil der Konferenzteilnehmer bis 1994 hatte einen herausgehobenen Finanz- oder Wirtschaftshintergrund und war entweder Vorstandsvorsitzender oder Mitglied einer reichen Unternehmerfamilie. Der inner circle weise dabei eine recht hohe Kontinuität über die Zeit aus. Die politischen Teilnehmer kommen hauptsächlich aus den Vereinigten Staaten und Europa, dies gilt auch für die aus den Medien. Es sei auch eine Verknüpfung zu anderen Thinktanks festzustellen, wie etwa mit der Brookings Institution sowie dem Carnegie Endowment for International Peace (121). Thematisch seien immer wieder Fragen mit einem starken Wirtschaftsbezug, so zum Beispiel die Liberalisierung des Welthandels, erforscht worden.

Karin Fischer und Dieter Plehwe untersuchen die Verknüpfung von neoliberalen Denkfabriken in Lateinamerika und Europa. Ein besonderes Merkmal von Thinktanks in Lateinamerika sehen sie in der Tatsache, dass private Universitäten häufig von erfolgreichen Geschäftsmännern gegründet worden seien (162). Diese Universitäten/ Thinktanks seien zu einem wichtigen Ort für die transnationale neoliberale Zusammenarbeit geworden. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit dieser Institute findet in Netzwerkverbünden statt. Diese Verbünde, wie zum Beispiel Atlas oder auch das Hispanic American Center for Research, verbinden die lateinamerikanischen Thinktanks mit mehr als etwa 600 anderen Thinktanks in Europa und weltweit (166). In Lateinamerika habe die Schuldenkrise in den 1980er-Jahren den Aufstieg von neoliberalen Thinktanks ermöglicht. In Europa sei eine Welle neoliberaler Think-Tanks in den 1990er-Jahren entstanden. Ihre Agenda, zum Beispiel den Einfluss des Staates zu reduzieren, sei in engem Zusammenhang mit dem Entstehen und der Vertiefung der Europäischen Union zu sehen. In Europa und in Lateinamerika seien starke, auch finanzielle, Verbindungen der Thinktanks, mit den (neoliberalen) Thinktanks in den Vereinigten Staaten festzustellen. Allerdings hätten es die lateinamerikanischen Thinktanks einfacher gehabt, ihr neoliberales Programm durchzusetzen. Anders als in Europa mussten sie nicht gegen alternative Programme kämpfen und, so Fischer und Plehwe, konnten mit ihren Ideen und Lösungsvorschlägen eine politische Leerstelle erfolgreich besetzen (180).

Der Band versammelt eine Reihe weiterer Detailstudien. Dazu gehören die Untersuchung von australischen Thinktanks, der US-amerikanischen Business-Roundtable und transnationaler alternativer Thinktank-Projekte (transnational alternative policy groups). Die Herausgeberinnen haben damit eine große Anzahl von informativen Fallbeispielen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit neoliberalen Denkfabriken zusammengetragen.

 

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Aus den Medien

Markus Klöckner
"Die transnationalen Machteliten haben sowohl kosmopolitische als auch neo-nationalistische Kräfte"
Politikwissenschaftler Dieter Plehwe über den weltweit vernetzten neoliberalen Elitezirkel Mont Pèlerin Society
Telepolis, 26. November 2017


Aus der Annotierten Bibliografie


Ulrich Heisterkamp

Think Tanks der Parteien? Eine vergleichende Analyse der deutschen politischen Stiftungen

Wiesbaden: Springer VS 2014; 558 S.; 46,99 €; ISBN 978-3-658-06857-8

Diss. Regensburg; Begutachtung: M. Sebaldt, A. Straßner. – Ulrich Heisterkamp legt die erste detaillierte und empirisch vergleichende Analyse aller sechs parteinahen Stiftungen in Deutschland vor. Er fragt dabei, „ob die parteinahen Stiftungen, bei denen es sich um multifunktionale Organisationen mit verschiedenen Tätigkeitsfeldern handelt, überhaupt als Think Tanks qualifiziert werden können“ (18). Beleuchtet werden ebenso Rahmenbedingungen und Ressourcen eines Think‑Tank‑Handelns der Stiftungen wie deren Selbstverständnis.

 

Martin Schulte

Politik mitgestalten. Möglichkeiten wissenschaftlicher Politikberatung durch private Think Tanks

Marburg: Tectum Verlag 2013; 365 S.; pb., 39,95 €; ISBN 978-3-8288-3190-2

Politikwiss. Diss. Bonn; Begutachtung: G. Langguth. – Vor dem Hintergrund des stetigen Zuwachses an kleineren privat finanzierten Think Tanks in Deutschland stellt Martin Schulte die Untersuchungsfragen, ob diese als Beratungsakteure in politischen Reformprozessen eine Rolle spielen, welche Funktionen sie dabei wahrnehmen und welches die Erfolgsfaktoren ihrer angestrebten Einflussnahme sind. 

 

Norbert Nicoll

Neoliberalismus. Ungleichheit als Programm

Münster: Unrast 2013; 158 S.; 14,- €; ISBN 978-3-89771-534-9

Wer eine gut lesbare und übersichtlich strukturierte Einführung in die Welt des Neoliberalismus sucht, kann Norbert Nicolls Band durchaus zur Hand nehmen. Auch wenn der Autor aus seiner Attac‑Mitgliedschaft keinen Hehl macht, ist er um einen sachlichen und weitgehend neutralen Darstellungsstil bemüht.

 

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