Abkehr vom Korporatismus? Der Wandel der Sozialversicherungen im europäischen Vergleich
Die Autorinnen und Autoren untersuchen, inwiefern bei Wohlfahrtsstaaten konservativer Provenienz eine Abkehr von der Selbstverwaltung der Sozialversicherung – und damit vom Korporatismus allgemein – zu verzeichnen ist. Dafür werden insgesamt acht Länder analysiert und in einzelnen Fallstudien vorgestellt: Neben den Benelux-Staaten sind dies Deutschland, Frankreich, Österreich, Tschechien und Ungarn. Im Mittelpunkt steht die Struktur der zentralen sozialen Sicherungsfelder Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit. Neben der Beschreibung aktueller Reformen untersuchen sie die historische Entwicklung und ordnen die Selbstverwaltung in den jeweiligen politischen Gesamtkontext ein. Als Materialbasis dienen außer der Sekundärliteratur Dokumente, Gesetzesentwürfe, Stellungnahmen sowie Parlaments- und Ausschussprotokolle. Zudem wurden in jedem Land sechs bis acht Experteninterviews geführt. Den Rahmen bilden zwei Einleitungs- und ein abschließendes Analysekapitel. Auch wenn im Fazit eine sehr instruktive Zusammenfassung der Länder zu finden ist, ist die Lektüre der Einzeldarstellungen lohnenswert. Trotz des grundsätzlichen Dilemmas fehlender Erklärungskraft qualitativer Untersuchungen gelingt den Autoren eine nachvollziehbare Eingruppierung aller acht Länder in die Kategorien der Beibehaltung der Selbstverwaltung (Belgien, Deutschland, Luxemburg, Österreich) beziehungsweise deren Auflösung. Trotz der Vielfalt möglicher und tatsächlicher Einflussgrößen kristallisieren sich zwei Faktoren als die entscheidenden heraus: In Ländern, in denen Gewerkschaften eine starke Rolle spielen und die Tradition der korporatistischen Selbstverwaltung historisch stark verankert ist, besteht die Selbstverwaltung bis heute fort. Wo dies nicht gegeben ist, kam es über kurz oder lang zu deren Auflösung. Die Abkehr von der Selbstverwaltung kann dabei auf verschiedenen Wegen erfolgen: über Verstaatlichung, Beteiligung neuer Akteure und Ökonomisierung bis hin zur gesetzlich beschlossenen Abschaffung. Die spannende Frage bleibt, ob dies die Finanzierungsprobleme lösen wird.