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Sabine Lemke-Müller

Abgeordnete im Parlament. Zur Parlamentskultur des Deutschen Bundestages in den neunziger Jahren

Rheinbreitbach: Neue Darmstädter Verlagsanstalt 1999; 378 S.; geb., 39,88 €; ISBN 3-87576-434-X
Politikwiss. Habilitationsschrift Marburg; Gutachter: T. Schiller. - Die Untersuchung setzt zwei Schwerpunkte: Zunächst geht sie der Frage nach, ob der Bundestag angemessenerweise als Verhandlungssystem zu charakterisieren ist. Wesentlich basierend auf den von Scharpf entwickelten Überlegungen formuliert Lemke-Müller vier notwendige Voraussetzungen für das Vorliegen eines Verhandlungssystems: das Vorhandensein von "Verhandlungsmacht" bei allen Akteuren, das "allseitige Interesse an einem Verhandlungsergebnis", das Vorhandensein eines "Verhandlungsspielraums" sowie die Bedingung, dass "Abgeordnete und Fraktionen angemessene Chancen zur Darstellung ihrer Betrachtungsweise, ihrer Absichten und Forderungen im Willensbildungsprozeß des Parlaments erhalten" (35). Auf der Basis dieser (und weiterer fakultativer) Bedingungen analysiert die Autorin die Entscheidungsprozesse im Bundestagspräsidium, im Ältestenrat, in den Ausschüssen, in den Fraktionen sowie im Vermittlungsausschuss. Zusammenfassend konstatiert sie, dass "im Deutschen Bundestag verhandlungsdemokratische neben mehrheitlich entscheidenden Gremien existieren", wobei Erstere vorrangig unter den mit Verfahrensfragen befassten zu finden sind (107). Auf der Basis einer im November 1996 durchgeführten schriftlichen Befragung aller Bundestagsabgeordneten (Rücklaufquote 40 %) untersucht Lemke-Müller im zweiten Schwerpunkt die "Einstellungen und Verhaltensweisen von Abgeordneten" (108) im "flexiblen Mehrheits- und Verhandlungssystem" Bundestag (107). In Abgrenzung zu normativ aufgeladenen Verwendungen des Begriffs "Parlamentskultur" in Wissenschaft und öffentlicher Diskussion, möchte Lemke-Müller in Anlehnung an Konzepte der Politischen-Kultur-Forschung Parlamentskultur analytisch verstanden wissen. Diese umfasst fünf Dimensionen (siehe Kapitel 5 bis 9), die Lemke-Müller auf der Basis ihrer Abgeordnetenbefragung untersucht und abschließend in Verbindung mit der Charakterisierung des Bundestages als Verhandlungssystem bringt. Neben einer grundsätzlichen Übereinstimmung zwischen den ermittelten "Einstellungen, Haltungen und Verhaltensmustern" der Abgeordneten und den Anforderungen, "die die Mandatsausübung im Mehrheits- und Verhandlungssystem Bundestag an sie stellt", konstatiert Lemke-Müller auch "kontraproduktive Zwänge" wie "große[n] Disziplinierungsdruck in den Fraktionen" sowie die "strikte Ressortzuteilung in Sachfragen", welche die "Schubladenmentalität fördert" (345). Inhaltsübersicht: 1. Parlamentskultur: Begriffliche Vorklärungen und Forschungsstand; 2. Das Parlament als flexibles Mehrheits- und Verhandlungssystem; 3. Inhaltliche Dimensionen von Parlamentskultur; 4. Die empirische Untersuchung; 5. Selbstverständnis zwischen Wunsch und Wirklichkeit; 6. Innerfraktionelle Politikdarstellung, Einfluß und Führung in der Bewertung der Abgeordneten; 7. Politisches Vertrauen und Kooperation; 8. Kooperationsbereitschaft und Konsenschancen; 9. Perzeption der Geschlechterverhältnisse im Parlament; 10. Zusammenfassung der Forschungsergebnisse: Hauptzüge einer Parlamentskultur; 11. Theoretische Betrachtungen zur Parlamentskultur des Deutschen Bundestages.
Julia von Blumenthal (JB)
Prof. Dr., Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin.
Rubrizierung: 2.321 | 2.36 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Julia von Blumenthal, Rezension zu: Sabine Lemke-Müller: Abgeordnete im Parlament. Rheinbreitbach: 1999, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/12085-abgeordnete-im-parlament_14420, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 14420 Rezension drucken