Demokratie und Frieden
Aaron Sahr: Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft
12.05.2022Was ist Geld eigentlich? Aaron Sahr antwortet auf diese Frage mit Rückgriff auf die Modern Monetary Theory in seinem Buch wie folgt: Geld ist Infrastruktur. Und das ist es, ohne Banken hierfür zu brauchen. Diesem Gedanken wird, aus Sicht von Florian Geisler lohnend, so weit wie möglich nachgegangen, um an kritischen Erkenntnissen zu so mancher aktuell diskutierten demokratischeren Alternative zur Marktökonomie, zur Romantisierung der Realwirtschaft oder der faktischen Trennung von Wirtschafts- und Geldpolitik innerhalb der Europäischen Union hinzu zu gewinnen. (tt)
Eine Kurzrezension von Florian Geisler
Die Frage, was Geld eigentlich ist, gehört zu den Kernthemen kritischer Perspektiven auf Geschichte und Gesellschaft. Die allermeisten Menschen hantieren täglich mit Geld, und alle haben ein intuitives Verständnis davon, wozu es nötig ist. Wo es aber wirklich herkommt und was es genau repräsentiert, darüber herrscht meistens allgemeine Unklarheit und Streit.
Aaron Sahrs Verdienst ist es nun, die Debatte über die Natur des Geldes wieder in den Vordergrund zu rücken. In Anlehnung an die vor allem aus den USA kommende Debatte zur „Modern Monetary Theory“ (24) – in deren Eckpunkte die Leser*innen zugleich eingeführt werden – breitet Sahr seine Auffassung vom „Geld als Infrastruktur“ (147) an und für sich aus. Gemeint sind dabei gerade nicht etwa die Banken, die einen Mechanismus für die Zahlungsabwicklung bereitstellen. Vielmehr stellt gerade das Geld selbst für Sahr bereits die Infrastruktur dar. Und „Infrastrukturen“, so Sahr, „[sind] nicht unschuldig“ (158).
So wie elektrischer Strom, als reine Ressource betrachtet, die durch Leitungen von A nach B fließt, nicht besonders spannend ist, sondern soziologisch vor allem durch die Formen von Vergesellschaftung interessant wird, die durch die prinzipielle Verfügbarkeit von Elektrizität erst möglich werden, zeigt sich der ganze Einfluss des Geldes nur dann, wenn es jenseits von reinen Verteilungsfragen betrachtet wird. Dann wird deutlich, dass Geldpolitik viel mehr sein kann, und muss, als Geldwertpolitik, die sich in der verbreiteten „Ideologie des unpolitischen Geldes“ (47) nur für Währungsstabilität interessiere. Stattdessen solle die „Geldschöpfungspolitik“ (325) in den Mittelpunkt gestellt werden.
Neben seiner Kritik an der substantialistischen Geldtheorie stellt Sahr seine eigene bilanztheoretische Perspektive vor. Auch marxistische Sichtweisen haben bereits vor der Finanzkrise auf dem „monetären“ Charakter des modernen Kapitalismus bestanden und darauf, dass der Geldwert nicht allein aus der Sphäre der Produktion erklärt werden kann, sondern auf die Zirkulation angewiesen ist. In dem Hinweis darauf, dass das reine Verrechnen von Arbeitszeitgutscheinen gegeneinander logisch nicht aufgeht und auch keine demokratischere Alternative zur Marktökonomie darstellt, lag die Hoffnung auf einer schlagkräftigeren Kritik des modernen Kapitalismus. Indem man den Kapitalismus als monetär begreift, beugt man romantischen Lösungen vor, die ein Zurück zu einer vermeintlich besseren Zeit der gebrauchswertorientierten, „schaffenden“ „Realwirtschaft“ beschwören.
Sahrs Buch lässt sich als ein Versuch verstehen, herauszufinden, wie weit dieser Gedanke getrieben werden kann, ohne selbst wiederum ins Absurde abzugleiten. Denn wenngleich es „bilanzsoziologisch“ (173) stimmen möge, dass ein Geldbetrag auf der einen Seite immer eine Schuld auf der anderen impliziert – also Schulden immer nur wieder mit Schulden bezahlt werden –, so werde sich doch „das Ausmaß an kreditwürdiger Nachfrage nach Schulden“ (206) für immer nur an der materiellen Sphäre der Güterproduktion messen lassen müssen.
Eine wichtige Lektüre für alle, die sich kritisch mit der faktischen Trennung von Wirtschafts- und Geldpolitik in der Europäischen Union auseinandersetzen wollen.