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Nadav Eyal: Revolte. Der weltweite Aufstand gegen die Globalisierung

27.05.2020
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Autorenprofil
Prof. Dr. Rainer Lisowski
Berlin, Ullstein Buchverlage 2020

„Indeterminiert“ passt gut als erstes Wort einer Rezension zu Nadav Eyals Buch „Revolte. Der weltweite Aufstand gegen die Globalisierung“. Denn das aus dem Lateinischen stammende Wort bedeutet nicht nur „unbestimmt sein“. Ein zweiter Bedeutungsinhalt lautet „unabgegrenzt sein“. Und an dieser Stelle setzt schon die Kritik an dem Buch an: Es besteht aus Geschichten, aus Miniaturen, aus mosaiksteinartigen Einzelaufnahmen, die aber in Summe den Anspruch erheben, eine weltweite Bewegung tektonisch vermessen zu wollen. Mitunter wirkt das sprunghaft und eben unabgegrenzt.

Der Autor nimmt uns mit auf eine Reise durch die halbe Welt. Griechenland, China, Sri Lanka – überall findet er Indizien für eine einsetzende, weltweite Revolte gegen die Globalisierung. Aus politikwissenschaftlicher Sicht könnte es drei triftige Gründe geben, ein solches journalistisches Werk zu einem sehr fundamentalen Thema zu lesen. Es könnten erstens neue Einsichten und Problemstellungen angeboten werden, die einer detaillierteren wissenschaftlichen Untersuchung bedürfen. Oder zweitens könnte es dem in verständlichem Schreiben geübten Kollegen aus dem Journalismus besser als einem selbst gelingen, komplexe Sachverhalte zu verdichten. Man erhielte also eine messerscharfe Übersicht oder zumindest schneidende Zitate für die eigene Sammlung. Oder der dritte Grund: Es werden interessante Zahlen, Daten oder Fakten – gegebenenfalls aus Gesprächen mit der politischen Führungsebene – präsentiert, derer man selbst nicht oder nur schwer habhaft würde.

So richtig passt leider keiner dieser Gründe zu dem Buch von Eyal und etwa um die Seite 60 mag sich daher mancher Leser / manche Leserin fragen, ob es wohl lohnt, weiterzulesen. Dabei nimmt Eyals Untersuchung eigentlich erst ab hier Fahrt auf.

Die plakativen und ohne erkennbaren roten Faden miteinander verwobenen Überschriften der achtzehn Kapitel („Wir duschten alle zwei Wochen“, „Ströme von Blut“) folgen doch einer Logik, die sich erst allmählich offenbart. Zunächst wird die Welt als vernetzt und gleichzeitig beschrieben. Der große Segen der Globalisierung wird den Leser*innen vor Augen geführt. Bis hierhin (etwa Seite 60) ist im Grunde nichts neu. Sodann wird das Blatt gewendet und die Schattenseiten der Globalisierung werden aufgeblättert, etwa der Export von Umweltverschmutzung aus dem reichen Westen in den vergleichsweise ärmeren asiatischen Osten. Eyal geizt dabei nicht mit Kritik an uns selbst. Wir als die eigentlichen Verursacher der globalen Umweltverschmutzung („Ausbeutungszentren“, 69) haben dann auch noch die Chuzpe, uns über die laxen Umweltstandards in Fernost moralisch zu erheben. In solchen Momenten stellt Eyal seinen Leser*innen in Europa und Amerika den Spiegel vor das Gesicht und mancher dürfte doch ins Grübeln kommen, ob seine gut gemeinte Umweltschutz-Kritik an China nicht deutlich radikaler ausfallen, nämlich eben an der Radix, der Wurzel ansetzen müsste: an einem selbst und dem eigenen Verhalten. Eyals Buch liest sich zunehmend interessant.

Im Mittelteil befasst sich „Revolte“ mit dem Wiederaufstieg des Nationalismus als wesentliche Gegenreaktion gegen globale Migrationsmuster. Bewusst verwendet der Autor dabei nicht den Begriff Populismus. Er sieht viel dunklere Kräfte am Werk, allen voran Donald Trump, in dem er keinen Populisten mehr zu erkennen vermag (367). Für ihn ist der Nationalist Trump aber nur der Anfang, ohne dass wir wüssten, was künftig noch alles kommen mag (350). Das Auftauchen von Trump von der Spitze der westlichen Führungsmacht ist für ihn ein Grund zu schlussfolgern, der Fortschritt selbst sei mittlerweile in Gefahr (274).

Dieses Szenario greift er im letzten Kapitel erneut auf und spitzt es insgesamt zu. Die vorgestellten Auflehnungen von rechts und links brächten den Fortschritt insgesamt in Gefahr, selbst wenn die Revolte derzeit zwar nicht kohärent und nur wenig strukturiert sei (403). Die Gefahr resultiere aus den immer engeren internationalen Verflechtungen und ihrem dezentral organisierten Mediensystem. Sie lieferten den Gegnern von Globalisierung und Fortschritt alle wichtigen Waffen frei an die Hand. Und anders als bei den maschinenstürmenden Ludditen des 19. Jahrhunderts drohe diesmal reale Gefahr, da der Einsatz von künstlicher Intelligenz den alten Pakt – Rationalisierung und Abwanderung von Industrien hier für neue Arbeitsplätze dort – zerstöre (411 f.).

Es handelt sich um ein Buch von Geschichten. Eingangs denkt man sich: „Alles schon mal gehört“. Erst nach und nach gewinnt man einen differenzierteren Eindruck. Vor allem, wenn man sich die Zuspitzung allgemein bekannter Aussagen bei Eyal vergegenwärtigt. In fünf Kernthesen lassen sich die gut 450 Seiten zusammenfassen:

  1. Die Globalisierung hat zwei Seiten – sie schafft den liberalen Weltbürger ebenso wie sie die Zerstörung dieser Welt bewirkt.

  2. Überall auf dem Globus wenden sich Menschen zunehmend von der Globalisierung ab. Die Kritik an ihr kommt dabei aus allen gesellschaftlichen und politischen Lagern.

  3. Diese Bewegungen sind derzeit nicht kohärent und schon gar nicht koordiniert. Ihre Kritiker verfügen dennoch über scharfe ‚Waffen‘, um der Globalisierung, so wie wir sie seit Jahrzehnten kennen, gefährlich zu werden.

  4. Eine wichtige Strömung ist der Nationalismus, teilweise durchsetzt von Antisemiten. Anders als andere erkennt Eyal in vielen Rechtspopulisten knallharte Nationalisten – allen voran: der 45. Präsident der USA.

  5. Attac irrt: Die Kritik an der Globalisierung ist mehr als die Kritik an einer Wirtschaftsform. Sie greift kulturelle Muster auf und gefährdet den (liberalen) Fortschritt insgesamt.

Alle diese Aussagen werden durch illustrative Geschichten untermauert, wenngleich damit natürlich noch nichts bewiesen ist. Aber das wäre auch nicht die Aufgabe eines Journalisten.

 

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