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Stephen Smith: NACH EUROPA! Das junge Afrika auf dem Weg zum alten Kontinent

23.01.2019
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Dr. rer. pol. Wahied Wahdat-Hagh
Berlin, edition.fotoTAPETA 2018

Die grundlegende These des Buches ist, dass Europa im Jahre 1885, am Ende der Konferenz von Berlin, die koloniale Aufteilung Afrikas besiegelt hatte. Dabei war der innere Teil des afrikanischen Kontinents zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal kartografisch erfasst und stellte die ärmste Region der Welt dar. Afrika sei immer noch arm, schreibt Stephen Smith, und es drohe eine massive Auswanderung nach Europa.

Sein Buch sei der „Humangeografie“ (18) gewidmet, so Smith, der an der Duke University afrikanische und afro-amerikanische Studien lehrt. Die Thesen und die Zahlen, die er für seine Argumentation einsetzt, sind jedoch seit ihrer Veröffentlichung umstritten. So wird beispielsweise nicht deutlich, auf welcher Grundlage der Autor die Behauptung aufstellt, dass bis 2050 „zwischen 150 bis 200 Millionen Afro-Europäer“ (21) existieren und ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung in Europa afrikanischer Abstammung sein werde.

Bekannt ist, dass die Bevölkerung Europas altert und die afrikanische Bevölkerung jünger ist als sie. Smith geht davon aus, dass bis 2050 rund zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben und 20 Prozent von ihnen Afrikaner sein werden. Im Jahr 2100 jedoch würden aber 40 Prozent der Weltbevölkerung von elf Milliarden Menschen Afrikaner sein. „Rund 60 Prozent aller Menschen unter 15 werden südlich der Sahara leben – eine solide Mehrheit der Jugend der Welt.“ (46) Smith nimmt also an, dass sich die afrikanische Bevölkerung bis 2050 verdoppeln und infolge der nächsten 50 Jahre erneut duplizieren werde. Warum diese Prognose eintreffen sollte, wird nicht belegt.

Smith schreibt zudem, dass drei von vier Menschen, die ab jetzt bis 2100 auf die Welt kommen, „südlich der Sahara geboren werden.“ (53) Aus dem tatsächlich allgemein gültigen Argument einer „umfassenden Gesundheitspolitik“ (40) kann Smith solche Zahlen nicht plausibel erläutern. Denn es wird nicht deutlich, warum in den nächsten 80 Jahren die afrikanischen Gesellschaften durch eine intensive Bildung nicht ihr Bevölkerungswachstum besser kontrollieren und gegen die Desertifikation ihres Kontinents ökologische Lösungen finden können.

Neben dem Bevölkerungswachstum thematisiert Smith eine religiöse Erneuerung, die er als die „tiefgreifendste Änderung in Afrika heute“ (84) bezeichnet. Seiner Beobachtung nach würden Salafisten das tägliche Leben „immer stärker prägen“ (88) und die Medien keine Gelegenheit auslassen, den Salafismus in seiner Gegnerschaft zum westlichen Rationalismus darzustellen. Über christliche Bewegungen wie die Pfingstbewegung schwiegen die Medien dagegen.

Smith relativiert aber die Gefahr des Islamismus, wenn er die Anwendung der Scharia in zwölf Bundesstaaten Nigerias damit erklärt, dass dies im „lokalen Kontext“ (91) betrachtet werden sollte – denn auch Boko Haram heiße nur „westliche Erziehung ist verboten“ (92). Die Popularität des Koranrechts sei aus der Feindschaft gegenüber dem Westen abzuleiten. Smith diskutiert an dieser Stelle nicht, warum afrikanische Muslime nicht auch zu einer friedlichen Interpretation ihrer Religion gelangen könnten.

Besonders fragwürdig wird es, wenn er in diesen Kontext die dschihadistische Terrorbewegung al-Schabab (Jugend) legitimierend in die Tradition einer somalischen „Jugendliga“ (93) stellt, die für die Unabhängigkeit Somalias kämpfe. Ferner vergleicht Smith die terroristischen Aktionen dieser dschihadistischen Organisation mit dem Kampf von Nelson Mandela, der gegen die Rassendiskriminierung gekämpft hat. Diese Interpretation hinterlässt einen bitteren Beigeschmack.

Smith geht davon aus, dass afrikanische Staaten deshalb häufig fragile Demokratien sind, weil ihre Gesellschaften es durch die „inhärente Instabilität“ (94) nicht schafften, die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Die postkolonialen, gerontokratischen afrikanischen Staaten erfüllten ihre Aufgaben in Erziehung und Bildung nicht: „Ein Viertel der Schulen in Südafrika haben keine staatliche Zulassung und sind deshalb technisch illegal.“ (115)

In diese Lücke sei – insbesondere nach dem 11. September 2001 und dem Krieg gegen den Terrorismus – „die Religion als Träger der Konfliktmobilisierung mit Wucht wieder zurückgekehrt“ (124). Dies habe geschehen können, weil die Mehrheit der jungen Menschen keine politische Stimme habe und von kleinen Minderheiten Ältester beherrscht werden, über die Religion aber schien sich ein Ausweg aus dieser Situation zu eröffnen.

Dieser Problemaufriss, in dem die Faktoren Bevölkerungswachstum und Hinwendung zur Religion im Mittelpunkt stehen, bildet dann für Smith den Hintergrund einer Prognose der UNO: Es sei davon auszugehen, dass sich zwischen 2015 und 2050 „rund 91 Millionen Menschen aus dem Süden in den reicheren Ländern niederlassen“ (132) werden. Der afrikanische Migrant entfliehe der Hölle, Europa erscheine ihm daher als das „Paradies“ (211). Einer solchen Tendenz aber wolle die Europäische Union entgegenwirken und habe seit 2015 ihre finanziellen Anstrengungen verdoppelt, um „Polizeistaaten an ihrer südlichen Flanke“ (183) zu subventionieren. Als Beispiel wird insbesondere die Türkei genannt.

Im letzten Kapitel entwickelt Smith mehrere Szenarien für die Zukunft. Eine massive Migration und Auswanderung der jungen Menschen nach Europa sei nicht im Interesse Afrikas, stellt er fest. Dieser Kontinent sei arm, aber ein „demografischer Milliardär“ (214). Angesichts einer wachsenden Anzahl von Afrikanern, die die Mittel haben, woanders ein besseres Leben zu suchen, sei vor einem Dilemma dieser Menschen zu warnen, die südlich der Sahara leben, aber das Bedürfnis bekommen, ein „Leben über das Existenzminimum“ (215) zu führen.

Als erste Prognose entwirft der Autor das „Eurafrika-Szenario“ (215), in dem er vor einer unbegrenzten Aufnahmebereitschaft warnt. Das zweite Szenario ist die „Festung Europa“ (218), die auf eine verlorene Schlacht hinauslaufe. Sein drittes Szenario bezeichnet er als „Mafia Drift“ (220): Afrikanische Menschenhändler könnten Verbindungen mit der organisierten Kriminalität in Europa eingehen. In einem vierten Szenario wird die „Rückkehr zum Protektorat“ (221) prognostiziert: Europa könnte Verträge mit den afrikanischen Regimen zur Eindämmung von Migration schließen und dafür Gegenleistungen anbieten – teilweise sei dies schon der Fall. Es sei zudem möglich, die unzufriedenen Massen zu mobilisieren, um mit ihnen eine „quasi-neo-koloniale Wiedererlangung der Kontrolle“ (222) anzubahnen. Im fünften Szenario schlägt Smith eine Kombination der genannten Optionen vor.

Abgesehen davon, dass Smith von umstrittenen Statistiken ausgeht, ist er nicht in der Lage, jenseits des Islamismus und anderen fundamentalistischen Bewegungen eine positive Vision für die Zukunft Afrikas zu entwickeln. Er ist ein Kulturpessimist, der gewagte Thesen über die Zukunft eines ganzen Kontinents entwickelt.

Was wäre, wenn immer mehr gebildete Afrikaner erkennen, dass ihr Kontinent einen lebenswerten Raum für das Leben der Menschen bietet und wenn diese zum Motor einer ökonomischen, sozialen und ökologischen Entwicklung Afrikas werden, vielleicht mit der Hilfe Europas? Die kulturpessimistische Sicht des Autors schürt Ängste und trägt nicht dazu bei, Wege und Lösungen einer anderen Entwicklungspolitik für Afrika zu suchen.

 

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