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Berit Bliesemann de Guevara / Tatjana Reiber (Hrsg.)

Charisma und Herrschaft. Führung und Verführung in der Politik

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2011; 250 S.; 29,90 €; ISBN 978-3-593-39378-0
In Max Webers klassischer Herrschaftstypologie wird neben der legalen und der traditionalen auch die charismatische Herrschaft identifiziert ‑ als durchaus fragile soziale Beziehung, in der dem Inhaber der Herrschaft eine besondere Fähigkeit, Kompetenz oder sonstige Gabe durch die Herrschaftsunterworfenen attestiert wird, die einen besonderen Erfolg in der Herrschaftsausübung erwarten lässt. Wo Webers vermeintlich so präzise Definition aufhört, setzt dieser Band an ‑ und zwar an weiterführenden Fragen zum eigentlichen funktionalen Kern charismatischer Herrschaft, etwa an der Frage, wie man eigentlich charismatischer Herrscher wird, wie und warum also Charisma zuerkannt wird und wie es institutionalisiert wird. „Politisches Charisma“, so die Herausgeberinnen in der Einleitung, „hat viele Gesichter. Und viele Facetten.“ (9) Und so finden sich in dem Band neben der übergreifenden Frage nach der Inszenierung von Charisma, die Jürg Häusermann in seinem Beitrag auf die Möglichkeiten einer „medialen Inszenierung von Alltagscharisma“ (134) am Beispiel von Martin Luther King zuspitzt, auch weitere Fallbeispiele. Dabei fallen die Bewertungen konkreter Herrscherpersönlichkeiten ‑ etwa Brandt, Schmidt, Castro, Obama ‑ und ihrer politischen Wirkung naturgemäß sehr unterschiedlich aus. Der Band bietet ob all dieser unterschiedlichen Einzelfallphänomene, von deren Untersuchung, wie die Herausgeberinnen betonen, jedoch die Forschung nicht entbunden werden könne, eine Übersicht „charismatischer Idealtypen“ (30). Den identifizierten „drei Grundtypen von Charisma“, nämlich dem „außeralltäglichen, dem veralltäglichtem und dem Alltagscharisma“ (31), ist ihre äußere Erscheinungsform gemein. Sie unterscheiden sich jedoch „hinsichtlich ihrer Entstehungshintergründe sowie ihrer Funktion, Wirkung oder Absicht" (30) deutlich. Dass sich hinter dieser Typologie letztlich eine Dichotomie von Herrschaftssubversion und ‑erhaltung verbirgt, in deren Dienst die jeweilige konkrete Ausprägung charismatischer Herrschaft steht, schmälert zwar die typologische Differenzierungsleistung. Trotzdem liefert der Band aber einen beeindruckenden Einblick in ein angesichts des zeitgenössischen Rechtsstaatsverständnisses als antiquiert angesehenes Herrschaftsmodell ‑ mehr Einzelstudien, wie sie in den Beiträgen des Bandes naturgemäß nur verkürzt geleistet werden können, wären absolut wünschenswert.
Matthias Lemke (LEM)
Dr. phil., Politikwissenschaftler (Soziologe, Historiker), wiss. Mitarbeiter, Institut für Politikwissenschaft, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.24 | 2.64 | 2.63 | 2.68 | 2.331 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Berit Bliesemann de Guevara / Tatjana Reiber (Hrsg.): Charisma und Herrschaft. Frankfurt a. M./New York: 2011, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/9695-charisma-und-herrschaft_40634, veröffentlicht am 16.06.2011. Buch-Nr.: 40634 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken