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Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.)

Deutsche Zustände. Folge 9

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2010 (edition suhrkamp 2616); 348 S.; 15,- €; ISBN 978-3-518-12616-5
Seit 2002 untersucht ein Forscherteam um den Bielefelder Professor für Sozialisation Heitmeyer die Ursachen und Ausmaße gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in Deutschland. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wird als ein Symptom aufgefasst, das abwertende Einstellungen und Handlungen gegenüber „schwachen“ Gruppen umfasst: Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamophobie, Homophobie, Vorrechte etablierter Gruppen, Sexismus sowie die Abwertung von Behinderten, Obdachlosen und Langzeitarbeitslosen. Stand der vorherige Band der Reihe noch ganz im Zeichen der Wirtschafts- und Finanzkrise, geht der aktuelle darüber hinaus: Die Autoren haben sich darauf konzentriert, „wie die Menschen die massive Krise seit dem Herbst 2008 individuell verarbeitet haben“ (17). Weiterhin werden Vergleiche mit sieben weiteren europäischen Ländern angestellt, in denen ebenfalls Daten erhoben wurden. Die ersten drei Kapitel des Bandes sind dabei der Auswertung der erhobenen Daten gewidmet, hier werden die kausalen Zusammenhänge zwischen den Auswirkungen der Krise und gruppenfeindlichen Einstellungen untersucht. Ergänzt werden diese Analysen durch ein Kapitel mit Fallgeschichten, die die „Bedeutung im konkreten Geschehen“ (177) illustrieren sollen. Zwei weitere Kapitel sind den Auswirkungen von Arbeitslosigkeit und der Rolle der Eliten in Deutschland gewidmet. Im letzten Kapitel wird dargestellt, wie – auch und gerade im Zeichen der Hartz-Reformen – eine Abwertung von Langzeitarbeitslosen stattgefunden hat, die sich mittlerweile auch in der Bevölkerung festgesetzt zu haben scheint. Ein Interview mit Wilhelm Heitmeyer und Friedhelm Hengsbach schließt den Band. Die insgesamt wichtigste Erkenntnis ist die einer „Tendenz der sozialen Entsolidarisierung, die vor allem von den oberen Einkommens- und Statusgruppen ausgeht“ (23). Diese Entwicklung umfasst eine geringere Bereitschaft zur Unterstützung schwacher Gruppen und die Stigmatisierung schwacher Gruppen zur Verteidigung eigener Privilegien. Die Autoren bezeichnen dies völlig zu Recht als beunruhigend: „Vieles deutet darauf hin, daß sich diese Menschen – politisch stimuliert – aus der Solidargemeinschaft zurückziehen“ (28). Die Reihe „Deutsche Zustände“ ist als Gradmesser des gesellschaftlichen Zusammenlebens und Ratgeber für Politik und Wissenschaft daher kaum zu überschätzen.
Matthias Seifert (MSE)
Politikwissenschaftler, Lehrer für Gemeinschaftskunde und Englisch, Gymnasium Englisches Institut Heidelberg.
Rubrizierung: 2.35 | 2.331 | 2.37 | 2.23 Empfohlene Zitierweise: Matthias Seifert, Rezension zu: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 9 Frankfurt a. M.: 2010, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/9687-deutsche-zustaende-folge-9_40145, veröffentlicht am 24.03.2011. Buch-Nr.: 40145 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken