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Andreas Eichmüller

Keine Generalamnestie. Die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechen in der frühen Bundesrepublik

München: Oldenbourg Verlag 2012 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 93); VI, 476 S.; Ln., 54,80 €; ISBN 978-3-486-70412-9
Gemeinhin wird angenommen, dass die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit erst in den 1960er‑Jahren begonnen hat. Dass es auch in der frühen Bundesrepublik Versuche gab, die begangenen Gräuel vor allen Dingen juristisch aufzuarbeiten, ist eher unbekannt. Andreas Eichmüller setzt an diesem Punkt ein liefert eine Analyse des Umgangs von Justiz und Politik mit der Strafverfolgung von NS‑Verbrechern in den ersten Jahren nach der Gründung der Bundesrepublik bis zur Errichtung der zentralen Stelle in Ludwigsburg. Hierzu gliedert er seine Monografie in zwei Teile: Im ersten Abschnitt zeichnet der Autor chronologisch das Verhältnis der Politik und der Öffentlichkeit zur Strafverfolgung in den 1950er‑Jahren nach, während er im zweiten Teil analytisch vorgeht. Dort wird deutlich, wie die Strafverfolgungen im Einzelnen aussahen, wohingegen in der Gesamtschau verständlich wird, welche Lücken sich auftaten und vor welche Probleme sich die Strafverfolgungsbehörden gestellt sahen. Der Autor hält vor allem das rechtsstaatlich gebotene Rückwirkungsverbot für eines der wesentlichsten Hindernisse im Hinblick auf eine umfangreiche strafrechtliche Verfolgung von NS‑Tätern, was er auch gut herausarbeitet. Zugleich sei nach der Zeit des Krieges in weiten Kreisen der Bevölkerung eine tiefe Sehnsucht nach „Normalität“ (421) anzutreffen gewesen. Das darf aber nicht zu der falschen Schlussfolgerung führen, dass der Nationalsozialismus weithin vergessen worden sei. Vielmehr distanzierte sich die Politik in aller Deutlichkeit, marginalisierte aber zugleich die Zahl der Schuldigen und versuchte ehemalige NS‑Anhänger in den neuen Staat zu integrieren. Erst in der zweiten Hälfte der 1950er‑Jahre änderte sich das öffentliche Bewusstsein hierfür. Interessant ist dieser Zeitkontext auch deshalb, weil in den frühen 1950er‑Jahren noch vorhandene alliierte Kontrollrechte und eine teilweise noch uneinheitliche Rechtslage den gesamten Prozess erschwerten. Konflikte zwischen einzelnen Behörden, zwischen dem Bund und den Ländern und unter den Ländern selbst taten ihr Übriges, um die Aufarbeitung unvollständig zu lassen.
Patrick Stellbrink (PS)
M. A., Politikwissenschaftler, Promovend an der TU Chemnitz.
Rubrizierung: 2.313 | 2.35 | 2.323 Empfohlene Zitierweise: Patrick Stellbrink, Rezension zu: Andreas Eichmüller: Keine Generalamnestie. München: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/9243-keine-generalamnestie_43213, veröffentlicht am 07.03.2013. Buch-Nr.: 43213 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken