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Jean Comaroff / John L. Comaroff

Der Süden als Vorreiter der Globalisierung. Neue postkoloniale Perspektiven. Aus dem Englischen von Thomas Laugstien

Frankfurt a. M./New York: Campus Verlag 2012 (Theorie und Gesellschaft 75); 287 S.; kart., 29,90 €; ISBN 978-3-593-39751-1
Die geschichtliche Erzählung der Moderne ist im Wesentlichen eine westliche. Sie handelt von den Versprechungen der Aufklärung durch ein liberales Denken und den Siegeszügen des Kapitalismus, von der Vernunft und der Zivilisation. Dabei denkt sie implizit das Andere stets mit, als defizitäres Gegenüber. Dieser Gegensatz erscheint in der globalen Nord‑Süd‑Konstellation als eine erstaunlich greifbare Dimension. Was aber ist, wenn man dieses Verhältnis andersherum betrachtet, sodass „der Süden in der Geschichte der Gegenwart dem Norden vorauseilt, als hyperbolische Präfiguration seiner entstehenden Zukunft“ (31)? Dieses Gedankenspiel bauen Jean und John Comaroff zu einer plausibilisierbaren These aus und bereiten damit ebenso scharfsinnig wie konsequent einen Perspektivenwechsel für postkoloniale Theorien vor. Voraussetzung dafür ist die Annahme moderner Erzählungen des Südens – allen voran Afrikas – als nicht bloße Ableger oder Nachzügler des Westens, sondern als eigenständige Entwicklung. Um in diesem Sinne die vertrauten Sicherheiten zu entfremden, widmen sich die Autoren den Kernbestandteilen der Konstruktion der Moderne und ihrer gegenwärtigen Transformation und begeben sich auf eine Spurensuche im globalen Süden. Dort treffen sie immer wieder auf Konzepte oder Entwicklungstendenzen, die vielen der Krisen und Erschütterungen in der westlichen Postmoderne gleichen, wenn nicht sogar diese antizipieren. So findet sich beispielsweise ein afrikanisches Konzept des Selbst, das die Erosion des autonomen Individuums in der neoliberalen Ära von Biopolitik und Selbstunternehmertum quasi schon vorweggenommen zu haben scheint. Oder aber es lassen sich politische Entwicklungen in Südafrika nachverfolgen, in denen Deregulierung und Öffnung von Grenzen den Paradoxien der Fremdenfeindlichkeit und des Patriotismus Vorschub leisteten – und zwar bevor sich gleiche Szenarien in Europa abzuspielen begannen. Durch vielfältige Analysen und Vergleiche arbeiten sich die Autoren durch die verschiedenen Aspekte von Identität, Zugehörigkeiten und Grenzziehungen, Demokratie und Verrechtlichung von Politik, Geschichtsschreibung sowie Migration und werden dabei immer wieder in alternativen Konzepten fündig, die sie keinesfalls als revisionistisch wenden, sondern theoretisch anspruchsvoll zugänglich machen.
Alexander Struwe (AST)
B. A., Politikwissenschaftler, Student, Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Rubrizierung: 2.2 | 4.44 | 2.67 | 4.42 Empfohlene Zitierweise: Alexander Struwe, Rezension zu: Jean Comaroff / John L. Comaroff: Der Süden als Vorreiter der Globalisierung. Frankfurt a. M./New York: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/9217-der-sueden-als-vorreiter-der-globalisierung_43168, veröffentlicht am 21.02.2013. Buch-Nr.: 43168 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken