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Axel Schildt

Konservatismus in Deutschland. Von den Anfängen im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart

München: C. H. Beck 1998; 328 S.; 26,- DM; ISBN 3-406-42041-9
Die alltägliche Verwendung des Terminus "konservativ" und "Konservati(vi)smus" steht in einem seltsamen Kontrast zu der Schwierigkeit, zu formulieren, was man darunter eigentlich verstehen möchte. Die vorliegende Untersuchung des Hamburger Historikers will Licht in das Dunkel der "babylonischen Sprachverwirrung" bringen, die sich um den Konservatismus seit seiner (schon in ihrer Datierung strittigen) Erfindung ausgebreitet hat. Für den Autor setzt konservatives Denken mit der Aufklärung ein, denn es lasse sich vor allem als "negativer Bezug auf den rivalisierenden Zwilling" (12) erfassen. Eine konservative Position zeichne sich durch die Kombination verschiedener Haltungen aus: durch die Betonung der Religiosität gegenüber diesseitiger Vernunft, der transzendenten Legitimation politischer Herrschaft, der Verteidigung der konkret gegebenen sozialen und politischen Ungleichheit und des "organisch" Gewachsenen in Staat und Gesellschaft anstelle rationalistischer Konstruktionsprinzipien und revolutionärer Veränderung. Dem entspreche die Bejahung von gottgegebener und historisch gewachsener Hierarchie und Autorität, die Vorrang vor dem liberalen Prinzip der Volkssouveränität genieße, sowie Skepsis gegenüber den Folgen gesellschaftlicher Modernisierung. Schwierig wird es allerdings schon bei Herabholung dieses abstrakten Wertekanons auf die biographische Ebene: Widersprüche zwischen Versatzstücken konservativen Denkens und politisch "progressiver" Parteinahme sind, laut Schildt, häufig. Er wendet sich explizit gegen die These des Ideenhistorikers Panajotis Kondylis, für den alle bisher als konservativ bezeichneten Bewegungen im Grunde liberal zu nennen seien, weil allein der Adel Trägerschicht des Konservatismus gewesen und dieser im 19. Jahrhundert an sein Ende gekommen bzw. im Liberalismus aufgegangen sei. Konservatismus zeichne sich dagegen für Schildt gerade in Deutschland durch einen Mangel an Liberalität aus: Der Konservatismus habe sich gegen die Heraufkunft der modernen Welt im 18. Jahrhundert konstituiert, und zwar zur Abwehr des (aufgeklärten) Absolutismus wie auch der Aufklärung und des aufstrebenden Bürgertums. Zugleich macht Schildt in Anlehnung an Lothar Dittmer einen eigenständigen Konservatismus von Beamten und staatsnahen Bildungsbürgern aus. Problematisch an dieser Definition ist, wie Schildt selbst einräumt, daß der Konservatismus im 19. und 20. Jahrhundert nicht nur zum Gegner, sondern zugleich auch zum Produkt der bürgerlichen Gesellschaft wurde - Konservatismus als contradictio in adjecto? Die Anpassung des Konservatismus an die sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse sei zwar nicht wirklich geklärt, doch die Annahme des Liberalismus als einziger politischer Strömung sei dennoch abzulehnen. Letztlich greife aber auch die Annahme der Existenz zweier homogener Großideologien zu kurz. So bleibt am Ende der Definitionsversuche die Feststellung, der Konservatismus enthielte sowohl über politische Zäsuren hinweg wirkende Elemente, etwa autoritäres Staatsdenken oder organologische Gesellschaftsbetrachtung, wie zeitlich begrenzt wirksame Elemente, etwa die Festlegung auf die Staatsform der Monarchie oder den Antisemitismus. Schildt versucht mit seinem Überblickswerk die an den bisherigen Arbeiten zum Konservatismus kritisierten alternativen Fixierungen entweder auf die Gedankenwelt desselben oder seine politisch-organisatorischen Ausdrucksformen zu einer Synthese zu bringen. Beginnend mit der auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts datierten Entstehung des Konservatismus, beschreibt er kenntnisreich dessen zweihundertjährige geistesgeschichtliche und politische Entwicklung bis hin zum bundesrepublikanischen Konservatismus, der freilich nur noch als eine Schwundstufe des alten Konservatismus gelten könne. Insgesamt eine sehr lesenswerte und für FachhistorikerInnen wie auch allgemein historisch Interessierte nützliche Monographie eines weiterhin schwer faßbaren Phänomens.
Claudia Bruns (CB)
Dr., Historikerin.
Rubrizierung: 2.31 | 2.331 | 5.43 Empfohlene Zitierweise: Claudia Bruns, Rezension zu: Axel Schildt: Konservatismus in Deutschland. München: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/5460-konservatismus-in-deutschland_7144, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 7144 Rezension drucken