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Franco "Bifo" Berardi

Helden. Über Massenmord und Suizid. Aus dem Englischen von Kevin Vennemann

Berlin: Matthes & Seitz 2016; 284 S.; 22,90 €; ISBN 978-3-95757-237-0
Der italienische Philosoph und Medientheoretiker Franco „Bifo“ Berardi wagt etwas Ungewöhnliches, denn er versucht die Bewegründe von Amokläufern und Massenmördern zu verstehen. Das an sich ist bereits selten und bietet einen guten Grund, sich mit diesem Buch zu beschäftigen, aber er liefert darüber hinaus eine Beschreibung unseres, in seinen Augen, nihilistischen Zeitalters. Nicht nur hier merkt man dem Buch den politischen Hintergrund seines Autors an, der früher aktiver Autonomer war. Interessant ist auch, dass er eben nicht islamische Fundamentalisten in den Mittelpunkt stellt, sondern grundsätzlich Täter mit einem antilinken, antiemanzipatorischen, paradoxerweise geradezu wertkonservativen Hintergrund. Seine bewusst provokante These lautet, dass ein neoliberales, globalisiertes Wirtschaftssystem geradezu zwingen muss, dass Menschen in Gruppen von Siegern und Verlierern geteilt werden. Einige dieser Verlierer wehren sich dagegen und nehmen gewaltsam Rache an einer Welt, die sie marginalisiert. Soweit nicht völlig neu. Berardi hört aber nicht bei der Feststellung auf, dass manche Menschen an der Welt verzweifeln, sondern befasst sich auch mit deren Motivationen – ja, er nimmt ihre Schriften durchaus ernst und setzt sich mit ihnen auseinander. In diesen erkennt er denselben Geist neokonservativer Politiker und attestiert, dass sich die Denkmuster der Täter nicht von den gemeingültigen Denkmustern unseres Zeitalters unterscheiden. In einem zweiten Teil seines Buches geht er auf die großen Selbstmordwellen der vergangenen Jahre zum Beispiel bei Foxconn, France Telekom oder bei Bankern ein, die für ihn ein weiterer Ausdruck eines ökonomischen Systems sind, das den Humanismus hinter sich gelassen hat und bei dem Zahlen und Tabellen im Vordergrund stehen. Auch wenn das Buch düster endet und Berardi bescheinigt, dass an dieser Situation kaum etwas geändert werden kann, findet er zu einer Form der (Selbst)Ironie zurück, die er auch als einzigen Lösungsansatz für eine Welt begreift, die seiner Meinung nach aus den Fugen geraten ist. Er schließt mit den Worten: „Nehmt mich nicht allzu erst. Nehmt meine Warnungen vor der Katastrophe nicht allzu ernst. [...] So, zum guten Schluss: Glaubt (mir) nicht!“ (268)
{MRO}
Rubrizierung: 5.42 Empfohlene Zitierweise: Michael Rohschürmann, Rezension zu: Franco "Bifo" Berardi: Helden. Berlin: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40139-helden_48359, veröffentlicht am 03.11.2016. Buch-Nr.: 48359 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken