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Francesco Traniello

Katholizismus und politische Kultur in Italien

Münster: Aschendorff Verlag 2016; 318 S.; kart., 29,80 €; ISBN 978-3-402-13149-7
Das Identifikationspotenzial der europäischen Nationalismen entfaltet sich im 19. Jahrhundert entlang der in jeder Nation unterschiedlich wirksamen kulturellen Vergemeinschaftungs‑ und Vergesellschaftungsprinzipien im Horizont von Staat, bürgerlicher Gesellschaft und Kirche. Blickt man auf die Konstitutionsbedingungen des deutschen (preußischen) Nationalismus, so wird dieser vor allem durch ein in der Vereinigung von Thron und Altar gestiftetes Staatsbewusstsein geprägt, das durch ein kulturprotestantisch gebildetes Kulturbürgertum einerseits und durch ein staatshöriges lutherisches Volkskirchentum andererseits getragen wird. Auch heute noch schwimmen Reste dieses deutschen nationalen „Sonderbewusstseins“ in den vielfach säkularisierten Weltanschauungstrümmern herum (insbesondere im Schul‑ und Bildungsbereich). Die Frage nach den historischen kulturellen Imprägnierungen des modernen europäischen Staatsbewusstseins samt seiner nationalen Einfärbungen muss sich also zunächst auf das jeweils besondere Wechselverhältnis zwischen Staat, bürgerlicher Gesellschaft und Kirche beziehen. Dass dies zu Einsichten führt, die uns nationalkulturelle Besonderheiten besser zu verstehen erlauben, macht das Buch von Francesco Traniello deutlich (was nicht zuletzt der kongenialen Übersetzung von Christiane Liermann geschuldet ist). Während die ersten sieben Beiträge den Grundzügen einer Geschichte der „katholischen Nation“ gewidmet sind (Risorgimento, das liberal‑katholische Lager um 1848, die Restauration und die Ausrufung des Königreichs 1861, die katholische Kultur im geeinten Italien sowie in der Zeit des Faschismus), geht es im achten Kapitel um die sich wandelnden Deutungen (Paradigmenwechsel) italienischer Historiker in ihrer Beurteilung der Rolle des Katholizismus in Italien. Für deutsche Leser_innen sind die ausgewählten repräsentativen autobiografischen Studien, die Don Giovanni Bosco (1815‑1888), Luigi Sturzo (1871‑1959), Arturo Carlo Jemolo (1891‑1981) und Alcide De Gaspari (1881‑1954) gewidmet sind, besonders aufschlussreich. Es sind vor allem diese Skizzen italienischer Lebensläufe, die – wenn auch in Umrissen – deutlich machen, was in Italien ganz anders ist und was das fascinosum des italienischen Katholizismus einerseits sowie das tremendum seiner politischen Kultur andererseits ausmacht. Wer sich für kulturvergleichende Fragen interessiert, dem sei diese Aufsatzsammlung des bekannten Turiner Historikers besonders ans Herz gelegt.
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Rubrizierung: 2.612.232.242.25 Empfohlene Zitierweise: Georg Kamphausen, Rezension zu: Francesco Traniello: Katholizismus und politische Kultur in Italien Münster: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40112-katholizismus-und-politische-kultur-in-italien_48122, veröffentlicht am 13.10.2016. Buch-Nr.: 48122 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken