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Silke Hünecke

Überwindung des Schweigens. Erinnerungspolitische Bewegung in Spanien

Münster: edition assemblage 2015; 300 S.; 24,80 €; ISBN 978-3-942885-73-7
Erinnerungspolitik ist ein wesentliches Element der Aufarbeitung und Überwindung der Verbrechen repressiver und diktatorischer Systeme. In Falle der Franco‑Diktatur in Spanien allerdings kennzeichnete sich die Transici Ón, also der langsame Übergang von der Diktatur zur repräsentativen Demokratie, durch die Leitung, Kontrolle und Zustimmung der franquistischen Eliten. Hierbei war die Amnestie für die Träger des Franquismus wesentliche Bedingung für den Übergang zur Demokratie. „Dies hatte ein gesamtgesellschaftliches Schweigen über die diktatorische Historie zur Folge, was auch als pacto de silencio (Pakt des Schweigens) bezeichnet wird“ (7). Doch diese Nichtthematisierung der staatlichen Repression und Verbrechen wird seit den 2000er‑Jahren immer mehr infrage gestellt. Viele zivilgesellschaftliche Erinnerungsvereine – in ihrer Gesamtheit auch als moviente‑memoralista‑Bewegung bezeichnet – kämpfen um eine Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, was wiederum die kollektive Erinnerung beeinflusst. Silke Hünecke stellt diese Erinnerungsbewegung, ihre Ziele, Möglichkeiten und Aktionen in das Zentrum ihrer Analyse, wobei sie auf 24 Interviews mit verschiedenen Aktivisten aus unterschiedlichen Regionen Spaniens zurückgreift. In ihrer umfangreichen Darstellung zeigt sich, dass der überwiegende Teil der Vereine einen lokalen Ansatz verfolgt: In der Regel steht die Aufarbeitung der franquistischen Repression im eigenen Heimatort im Vordergrund, beispielweise werden die Hinrichtungen oder die Namen der Inhaftieren recherchiert. Auch die politische Bildungsarbeit und Aufklärung der Schüler und Jugendlichen ist ein wichtiger Aspekt. Ein drittes Arbeitsfeld stellt die Suche nach den zahlreichen – Schätzungen belaufen sich auf bis 140.000 – Verschwundenen dar. Die Arbeit der jeweiligen Vereine ist aber nur schwer vergleichbar: Es sind unterschiedliche Erinnerungskulturen und Schwerpunkte zu verzeichnen, die zum Teil in die jeweiligen regionalistisch‑separatistischen Widerstandserzählungen eingewoben werden, wie es im Baskenland und Katalonien zu konstatieren ist. Diese zahlreichen Aktivitäten und Diskurse haben zu einem Wandel der offiziellen Erinnerungspolitik geführt, sodass mittlerweile die juristische Ahndung der franquistischen Verbrechen diskutiert wird – eine Forderung, „die vor wenigen Jahren auch für die Bewegung noch undenkbar“ (281) war. Die Arbeit der Vereine bleibt auch für die kommenden Jahre aktuell, die zahlreichen Spuren des Franquismus im öffentlichen Leben Spaniens zeigen dies nur allzu deutlich. So ist der Autorin am Ende ihres Buches zuzustimmen, dass die Arbeit der Erinnerungsbewegung „immer in Bewegung, nie am Ziel“ (266) ist.
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Rubrizierung: 2.612.232.263 Empfohlene Zitierweise: Fabrice Gireaud, Rezension zu: Silke Hünecke: Überwindung des Schweigens. Münster: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/40033-ueberwindung-des-schweigens_46464, veröffentlicht am 25.08.2016. Buch-Nr.: 46464 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken