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Karsten Jedlitschka / Philipp Springer (Hrsg.)

Das Gedächtnis der Staatssicherheit. Die Kartei- und Archivabteilung des MfS

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015 (Archiv zur DDR-Staatssicherheit 12); 489 S.; 35,- €; ISBN 978-3-525-31033-5
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war das zentrale Repressionsinstrument des SED‑Regimes, gingen doch von dort unter anderem das Abhören von Telefonen, der Einsatz von Spitzeln („IM“) oder auch gerade in den ersten Jahrzehnten der DDR gewalttätige Aktionen wie Entführungen aus dem Westen aus. Über einzelne Maßnahmen und die Folgen für das Leben der Opfer ist vielfach publiziert worden, immer wieder sind dabei auch Details über Arbeitsweise und personelle Besetzung der „Stasi“ herauszulesen. Selten aber wird das Ministerium so gründlich ausgeleuchtet wie in diesem Band. Am Beispiel der Abteilung XII, dem „‚Herzstück im Gesamtsystem des MfS‘“ (8), zeigen die Autoren in informativen Überblicksdarstellungen Aufbau, Entwicklung und Funktionsweise dieser zentralen Kartei‑ und Archivabteilung, in der man daran arbeitete, über jeden aus Sicht des Regimes verhaltensauffälligen Bürger geheimdienstlich relevante Informationen zügig bereitstellen zu können – lange mit vordigitalen Methoden natürlich, weshalb auch der Bau des Archivs selbst thematisiert wird. Immer wieder werden Defizite sichtbar, sowohl bei der Bereitstellung der Mittel als auch hinsichtlich der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen selbst – der Anteil der Frauen lag in dieser Abteilung über dem allgemeinen Stasi‑Durchschnitt. Einzelnen führenden Mitarbeitern sind zudem Fallstudien gewidmet, in denen sich eine in sich geschlossene Lebenswelt zeigt – Westkontakte waren untersagt, geheiratet werden sollte möglichst ein(e) Kollege_in. Wie groß der individuelle Spielraum dennoch sein konnte, zeigt Philipp Springer mit der Biografie von Oberst Reinhold Knoppe, der die Gründung des MfS mitprägte; er war mit einem später republikflüchtigen Bauern gut bekannt (der Knoppes Ziege, die er in Pflege hatte, mit auf die Flucht nahm), bandelte, obwohl verheiratet, mit seiner Sekretärin an, die Eltern seiner zweiten Ehefrau lebten zudem im Westen. „Was für MfS‑Mitarbeiter späterer Jahre kaum vorstellbar gewesen wäre, hatte für Knoppe ganz offensichtlich keine weiteren Konsequenzen“ (282). Als interessantes Detail sind weiterhin „die internationalen Aktivitäten des MfS“ (387 ff.) zu nennen: Zwei MfS‑Offiziere reisten 1981 via Kuba nach Nicaragua, um dort bei dem Aufbau eines geheimpolizeilichen Archivs zu helfen – ostdeutsche Gründlichkeit konnten sie aber dort nicht durchsetzen. Das Buch, das die Ergebnisse eines Forschungsprojekts der Archivabteilung der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi‑Unterlagen präsentiert, schließt mit den Kurzbiografien der leitenden Mitarbeiter der Abteilung XII und gibt damit Hinweise auf Forschungsfragen, die den Blick auf bestimmte Alterskohorten als handelnde Akteure schärfen.
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Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Karsten Jedlitschka / Philipp Springer (Hrsg.): Das Gedächtnis der Staatssicherheit. Göttingen u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39988-das-gedaechtnis-der-staatssicherheit_48176, veröffentlicht am 11.08.2016. Buch-Nr.: 48176 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken