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Robert Darnton

Die Zensoren. Wie staatliche Kontrolle die Literatur beeinflusst hat. Vom vorrevolutionären Frankreich bis zur DDR. Aus dem Englischen von Enrico Heinemann

Berlin: Siedler Verlag 2016; 368 S.; geb., 24,99 €; ISBN 978-3-8275-0062-5
Dass „Chinas ‚Große Firewall‘ und die uneingeschränkte Überwachung der National Security Agency“ (7) in einem Atemzug auf der ersten Seite angeführt werden, zeigt die aktuellen Bezüge, an die Robert Darnton, Professor für Geschichte in Harvard, sein Buch knüpft – es ist getragen von dem Anspruch, den Blick für die Bedeutung von Öffentlichkeit und Meinungsfreiheit für die Freiheit des Menschen zu schärfen. Dazu legt Darnton in einem historischen Längsschnitt drei Fallstudien über staatliche Eingriffe in die Literatur vor und zeigt so eindrucksvoll, dass es „die Zensur“ als starren bürokratischen Ablauf gar nicht gibt. Vielmehr verbergen sich hinter diesem Begriff Prozesse, die stark von ihrer politischen Umwelt abhängen und sich mit ihr verändern. Das erste Panorama, dass Darnton aus alten Akten lebendig werden lässt, ist das des vorrevolutionären Frankreichs. Es war eine Zeit, in der die (ehrenamtlichen) Zensoren sich eher als Gutachter und Lektoren verstanden, die ganze Werke sogar wohlwollend redigierten. Ihr Zertifikat galt als Gütesiegel und war damit eine Verkaufshilfe, untersagt wurde allenfalls die Publikation von Büchern, in denen König, Adel und Kirche kritisiert wurden oder die pornografisch waren – aber diese wurden sowieso an den Zensoren vorbei außer Landes gedruckt und auf dem Schwarzmarkt verkauft, oft von Frauen. Ein Hinweis aus dieser Zeit lautet, dass eine umfassende Zensur nicht durchzusetzen ist. Im zweiten Teil zeichnet Darnton das Scheitern der Briten dabei nach, im besetzten Indien mit dem Instrument der Nachzensur Liberalismus und Imperialismus zu vereinbaren. Mit dem aufkommenden Nationalismus änderte sich dabei weniger die kolonialkritische Literatur, sondern die Wahrnehmung der britischen Beamten, welche Aussagen in Romanen und Theaterstücken zu Unruhen anstiften könnten. Das britische Credo der freien Meinungsäußerung kollidierte zunehmend mit dem Ziel, das Kolonialreich durch Unterdrückung zu erhalten. Erst die indische Unabhängigkeit hob dieses Dilemma auf. Als drittes Beispiel dient die DDR. Zu seiner Freude konnte Darnton nach dem Mauerfall selbst mit Zensoren sprechen, die nun untätig in ihren Büros saßen – und an dem Selbstbild festhielten, Literatur nicht zensiert, sondern geplant und damit ermöglicht zu haben. Darnton zeigt die Mechanismen dieses Selbstbetrugs an vielen Beispielen, wobei die Zensur auf allen Ebenen – von der Selbstzensur bis zu einem Gegenlesen im Politbüro – stattfand. Um überhaupt veröffentlichen zu können, arbeiteten die Schriftsteller oftmals eng mit ihren Zensoren zusammen. Den größten Freiraum erkämpfte sich dabei Christa Wolf: Sie setzte durch, dass die zensierten Stellen in ihrem Buch „Kassandra“ durch Auslassungsklammern kenntlich gemacht wurden. In der Bundesrepublik erschien derweil die unzensierte Fassung.
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Rubrizierung: 2.12.212.232.242.252.3142.612.68 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Robert Darnton: Die Zensoren. Berlin: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39833-die-zensoren_48424, veröffentlicht am 14.07.2016. Buch-Nr.: 48424 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken