Säkulare Tabus. Die Begründung von Unverfügbarkeit
Der Essay stellt das Ergebnis einer Zusammenarbeit von Rechts‑ und Literaturwissenschaftlern der Universitäten Münster und Konstanz dar, die auf einem gemeinsamen Forschungsprojekt zum Diskurs der Folter fußt. Ausgangspunkt ist die Diagnose, dass in jüngerer Vergangenheit zunehmend versucht werde, „eine Kritik geltenden Rechts durch Argumente aus den Bereichen von Anthropologie oder Religion zu begründen“ (7). Beiden Tendenzen sei gemein, dass sie dabei auf identische Argumentationsmuster zurückgriffen, die sich im Begriff des „Tabus“ bündeln ließen, wobei vor allem zwei Gebrauchsweisen anzutreffen seien: die sprachliche Markierung sakral aufgeladener Verbote und die Denunziation vorrationaler Verbote. Beiden Verwendungsweisen gehen die Autoren insbesondere in Zusammenhang mit der im Grundgesetz verankerten Unantastbarkeit der Menschenwürde nach, die etwa im Zusammenhang mit den Diskussionen über die Zulässigkeit von „Rettungsfolter“ oder den Abschuss von durch Terroristen entführte Flugzeuge rechtspolitische Aktualität gewann. Sowohl die affirmative als auch die denunziatorische Verwendung des Tabubegriffs wird von den Autoren kritisiert: Während Erstere „als Container für die unterschiedlichsten, von Begründungszwängen befreiten Ressentiments“ diene, denunziere Letztere „jene Gehalte des Würdesatzes, absolute Grenzen der staatlichen Gewalt zu markieren, mit guten Gründen Unverfügbares [zu] benennen, als bloße, das Denken blockierende ‚Tabuisierungen‘“ (117). Dagegen halten die Autoren an einem säkularisierten Würdebegriff fest, der auch ohne vorrechtliche, religiöse Verankerung weltanschaulich neutral und rational begründungsfähig ist. Der Grundsatz der Menschenwürde könne nur so „dem Einzelnen einen schlechthin nicht antastbaren Freiheits‑ und Schutzbereich gegenüber Kollektivinteressen“ (120) garantieren, der eine „intelligible Bedingung der Möglichkeit des Rechtsstaates“ (146) überhaupt sei.