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Sonja Levsen / Cornelius Torp (Hrsg.)

Wo liegt die Bundesrepublik? Vergleichende Perspektiven auf die westdeutsche Geschichte

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2016; 362 S.; geb., 50,- €; ISBN 978-3-525-30058-9
Die deutsche Zeitgeschichtsschreibung wurde über lange Jahre durch Meistererzählungen geprägt, die sich unter Stichworte wie Sonderweg und Westernisierung fassen lassen. Solche Ansätze wirken auch weit über die Zunft hinaus, wie etwa der anhaltende Verkaufserfolg der Werke von Heinrich August Winkler (siehe zum Beispiel Buch‑Nr. 15436) zeigt. Durch den vergleichenden Blick auf die europäischen Nachbarstaaten und außereuropäische Länder wurde die Plausibilität solcher „überkommenen“ (19) Narrative jedoch vermehrt relativiert (siehe zuletzt Buch‑Nr. 48010). Der auf eine Freiburger Tagung im Februar 2014 zurückgehende Band von Sonja Levsen und Cornelius Torp bietet vor diesem Hintergrund einen konzisen Einblick in aktuelle Forschungsprojekte zum Thema und liefert so erste Ansätze zu einer „historischen Neuverortung“ (17) der (alten) Bundesrepublik. Das Herausgeberduo skizziert fünf mögliche Erträge einer solchen Perspektivverschiebung: die geringere Gefahr einer nachträglichen Übernahme zeitgenössischer Deutungsmuster, damit verbunden die Möglichkeit einer Historisierung alter Erklärungsansätze – Beispiel: Westernisierungsparadigma –, zudem die Chancen, „in der Geschichtsschreibung zur Bundesrepublik etablierte Kausalketten zu hinterfragen“ (24), die „Bedeutung von Epochenschwellen zu überprüfen“ (26) und schließlich die Spielräume der handelnden Akteure schärfer zu erfassen. Gerade zum Charakter der „Westlichkeit“ der Bundesrepublik finden sich im Band einige anregende Überlegungen. Christina von Hodenberg betrachtet Produktion und Rezeption von TV‑Unterhaltungsserien in den 1970er‑Jahren. Sie konstatiert zwar eine „Westernisierungsanstrengung“ auf der Produzentenseite, diese sei allerdings in der Art der Herstellung und der transportierten Inhalte „deutsch überformt“ gewesen. Britische und US‑amerikanische Produktionen hätten unter anderem „mehr Gesellschaftskritik“ und „eine weitergehende Darstellung kulturrevolutionärer Phänomene ,von unten‘“ (47) erlaubt als dies in der Bundesrepublik üblich gewesen sei. Claudia Christiane Gatzka diskutiert anhand des Demokratisierungsparadigmas die historiografische Einordnung der Bundesrepublik im Vergleich mit Italien. In beiden Fällen würden in der wissenschaftlichen Analyse vielfach zeitgenössische Ansätze reproduziert. Diese wiesen unterschiedliche Bezugspunkte auf – Staat und Parteienwesen in Italien, die Zivilgesellschaft in Deutschland –, sodass die „Geschichten der Nachkriegsdemokratie nationale Narrative darstellen, die aus den jeweiligen politischen Kulturen erwuchsen“ (164). Einen ‚Normalweg‘ nach Westen findet man somit ebenso wenig wie eine einheitliche Definition dessen, was ‚Westlichkeit‘ überhaupt ist.
{MUN}
Rubrizierung: 2.32.3132.3312.3332.374.214.42 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Sonja Levsen / Cornelius Torp (Hrsg.): Wo liegt die Bundesrepublik? Göttingen u. a.: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39829-wo-liegt-die-bundesrepublik_48348, veröffentlicht am 14.07.2016. Buch-Nr.: 48348 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken