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Vilém Flusser

Jude sein. Essays, Briefe, Fiktionen. Hrsg. von Stefan Bollmann und Edith Flusser

Hamburg: CEP Europäische Verlagsanstalt 2014 (eva-Taschenbuch); 188 S.; brosch., 19,90 €; ISBN 978-3-86393-055-4
Der 1991 verstorbene Vilém Flusser war vornehmlich als Philosoph und Kommunikationswissenschaftler bekannt. Weniger Beachtung fand, dass er sich in zahlreichen Schriften über seine jüdische Identität und das Judentum äußerte. Dieses Buch versammelt verschiedene Briefe, kurze Aufsätze und Essays, die er im Laufe seines Lebens verfasst hat. Flusser, der sich selbst nicht als gläubigen Juden bezeichnete, reflektiert hierbei seine persönlichen Ansichten und Widersprüche in den zahlreichen Facetten des Judentums. „Meine Unfähigkeit, mich vollkommen als Juden anzunehmen, ist ebenso meine Bedingung wie mein Judentum. Ich bin viel zu sehr ‚Grieche‘, ‚Römer‘, ‚Germane‘ und ‚Christ‘, um total Jude zu sein. Um mich ganz als Juden akzeptieren zu können, muss ich auch die Grenzen meines Judentums akzeptieren.“ (60) Ausgehend von persönlichen Briefen wird das zunehmende Interesse des Autors deutlich, etwa wenn er von der Freundschaft zu einem orthodoxen Juden erzählt, der ihm den Sinn der jüdischen Ritualität näherbringt. Diese rituellen Ordnungsmuster stellen für ihn das zentrale Merkmal der Glaubensgemeinschaft dar, den Begriff Religion lehnt er dagegen ab: „‚Religion‘ ist eine römische Kategorie, die das Christentum aufgenommen hat und die dem Judentum total fremd ist.“ (94) Durch diese Riten wird die Welt gleichsam entzaubert und die Magie aus ihr vertrieben. Dies bedeutet eine Absage an Opferzeremonien und eine Befreiung von den Belohnung erwartenden – und strafenden – Göttern. „Mit einem Schlag zerreißt das Judentum diese Welt und revolutioniert das Leben. Indem es die Ewigkeit der Welt leugnet und ihre Erschaffung ex nihilo postuliert, bekommt die Welt eine Geschichte“ (95). Im Schlussteil des Buches fragt Flusser, ob es eine spezifisch jüdische Literatur gibt. Dabei geht er intensiv auf den Aspekt der Sprache ein und betont ihre Bedeutung vor dem Hintergrund seines Wirkens als Kommunikationswissenschaftler. So verweist er auf unterschiedliche Codierungsmöglichkeiten, beispielweise anhand des Werkes von Franz Kafka. Es ist ein anregendes Buch, das auch (und vor allem) nicht‑jüdischen Lesern das Judentum auf eine persönliche Art näherbringt.
{FGI}
Rubrizierung: 5.461.32.23 Empfohlene Zitierweise: Fabrice Gireaud, Rezension zu: Vilém Flusser: Jude sein. Hamburg: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39790-jude-sein_48199, veröffentlicht am 30.06.2016. Buch-Nr.: 48199 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken