Skip to main content
Gregor J. Betz

Vergnügter Protest. Erkundungen hybridisierter Formen kollektiven Ungehorsams

Wiesbaden: Springer VS 2016 (Erlebniswelten); XII, 299 S.; softc., 49,99 €; ISBN 978-3-658-11415-2
Diss. TU Dortmund; Begutachtung: R. Hitzler, M. Pfadenhauer. – Politik ist vieles und immer geht es auch um Interessen. Daran hat sich – abgesehen von den dem jeweiligen Zeitgeist geschuldeten Spielregeln – seit der Antike wenig geändert. Heute werden Politik im Allgemeinen und der Protest im Besonderen als Event verstanden und inszeniert, verdrängen den Kampf um Inhalte und Überzeugungen und wollen doch in ihrer Exklusivität wahrgenommen werden. Genau hier setzt die Analyse von Gregor J. Betz an. Betrachtet man die zunehmend hochprofessionelle Organisation politischer Kundgebungen, wird Politik heutzutage auf schnell abrufbare Emotionen entlang der Rezeptoren „Spaß, Erlebnis, Spektakel und Vergnügen“ (4) reduziert. Der Appell an das Gemeinwohl ist unmodern. Es zählt nur die Inszenierung einer kurzweiligen Erlebniswelt, für die Betz mit sicherem Gespür eine Reihe von Fallbeispielen skizziert. Anstelle von politischen Leerformeln und Masken geht es demnach, so die Intention der Akteure und der beauftragten Agenturen, um das Happening und die Mobilisierung eines zunehmend desinteressierten Demos. Ein gutes Beispiel dafür ist für Betz der im Ritual erstarrte, fahnenbewehrte und altersgraue Aufmarsch zum 1. Mai, ein Artefakt des proletarischen Bewusstseins und ab 1933 (!) gesetzlicher Feiertag. Ähnliches gilt für die Slow‑Food‑Bewegung, mit der nicht nur Ernährungsgewohnheiten, sondern eben auch ethische Aspekte von Produktionsprozessen angesprochen sind. Wer zur Schnippeldisco aufruft, appelliert an städtische Kulturwelten; der für die Nahrungsmittelerzeugung relevante ländliche Raum ist, so das Fazit von Betz, dank des Bioladens im Quartier inexistent. Der Autor betreibt aber keine pessimistische Kulturanalyse. Er stellt vielmehr das etablierte Politikverständnis auf den Prüfstand. In dem Maße, wie sich die (postmoderne) Gesellschaft individualisiert, wird auch die Sinnhaftigkeit von Politik hinterfragt. Schade, dass Betz hier ausgerechnet Edmund Burke ignoriert. Denn wie sollen verbindliche Entscheidungen repräsentativ getroffen und vollzogen werden, wenn Politik auf den Stellenwert von Emoticons herabsinkt?
{MAS}
Rubrizierung: 2.3312.35 Empfohlene Zitierweise: Martin Schwarz, Rezension zu: Gregor J. Betz: Vergnügter Protest. Wiesbaden: 2016, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39778-vergnuegter-protest_48210, veröffentlicht am 23.06.2016. Buch-Nr.: 48210 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken