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Slavoj Žižek

Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne. Aus dem Englischen von Michael Adrian

Berlin/Frankfurt a. M.: Ullstein 2015 (Ullstein Streitschrift); 64 S.; 4,99 €; ISBN 978-3-550-08116-3
Slavoj Žižek reagiert mit seinem provozierenden Essay auf das ‚Gemetzel‘ in der Redaktion von Charlie Hebdo im Januar 2015, wobei er sich ebenso von dem falschen Pathos des rasch inszenierten Solidaritätsspektakels der politischen Größen aus aller Welt distanziert wie von relativierenden Verweisen auf eine faktische oder vermeintliche Schuld des Westens an Massakern in der Dritten Welt. Die Pariser Morde seien ganz unmissverständlich ein „Angriff auf den Kern unserer Freiheiten“ (10) und sie folgten einem „genauen religiösen und politischen Programm“ (12); dem dahinter liegenden Muster gilt seine Analyse. Er setzt sich zunächst mit dem Islam als Lebensform in Relation zum liberalen Universalismus westlicher Gesellschaften auseinander. Die ihn dabei leitende These besagt, dass die hier relevanten Unterschiede nicht als Differenz von Vormoderne/Moderne zu fassen seien. Anders als wirkliche Fundamentalisten – denen die Lebensart der Ungläubigen gleichgültig sei – „sind die terroristischen Pseudofundamentalisten vom sündigen Leben der Ungläubigen zutiefst umgetrieben, fasziniert, bezaubert“ (13). In dieser Perspektive erscheint der IS nicht als Form äußersten Widerstands gegen die Modernisierung, sondern als Fall „pervertierter Modernisierung“ (22), der nach Belieben moderne Technologien der Finanztransaktionen und medialen Propaganda nutzt. Das zweite Phänomen, das Žižek – in Anlehnung an Lacans Schriften über Psychoanalyse – aufgreift, bezieht sich auf den für den islamistischen Fundamentalismus zentralen Programmpunkt einer hierarchischen Regelung des Verhältnisses zwischen den Geschlechtern. Hier lassen sich die einschlägigen Praktiken – die Verschleierung von Frauen, die faktische Toleranz gegenüber Vergewaltigungen in muslimischen Ländern, die Zuschreibung der alleinigen Verantwortung für den Geschlechtsverkehr an die Frauen – als Formen systematischer Verdrängung in einer „extrem sexualisierte[n] Welt“ (30) deuten. Diese Sicht führt Žižek – in einem genealogischen Vergleich der Ursprungsmythen von Islam, Judentum und Christentum – zu einer radikalen, paradoxen Deutung des verborgenen Skandals des Islam: „Nur eine Frau, die Verkörperung der Ununterscheidbarkeit von Wahrheit und Lüge, kann die Wahrheit garantieren. Aus diesem Grund muss sie verschleiert bleiben“ (61).
{MIR}
Rubrizierung: 2.252.23 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Slavoj Žižek: Blasphemische Gedanken. Berlin/Frankfurt a. M.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39752-blasphemische-gedanken_47131, veröffentlicht am 16.06.2016. Buch-Nr.: 47131 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken