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Martin Winter

Das Ende einer Illusion. Europa zwischen Anspruch, Wunsch und Wirklichkeit

München: Süddeutsche Zeitung 2015; 296 S.; brosch., 19,90 €; ISBN 978-3-86497-297-3
Martin Winter, über 20 Jahre lang Korrespondent zunächst der Frankfurter Rundschau, dann der Süddeutschen Zeitung in Bonn, Washington und Brüssel, verfügt zweifellos über dezidierte Kenntnisse der Außen‑ und Europapolitik. Mit diesem Buch hat er eine Art Abrechnung mit der Europäischen Union geschrieben, mit einem Projekt also, bei dem vieles dafür spricht, „dass das 21. Jahrhundert nicht Zeuge des Aufstiegs Europas, sondern dessen Niedergangs wird“ (9). Nicht allein, aber doch in wesentlichem Maße haben Verlauf und Folgen der 2008 einsetzenden Finanz‑ und Wirtschaftskrise zu einer sehr lang gezogenen Stunde der Wahrheit geführt, die das bisher Undenkbare – die „Europäische Union könnte scheitern“ (8) – denkbar werden lässt. Winter möchte nicht nur der Frage nachgehen, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist, sondern auch diskutieren, welche der großen Erwartungen, denen sich die Europäer nach dem Ende des Kalten Krieges hingegeben hatten, realistischerweise aufgegeben oder eingeschränkt werden müssten. Auf die sicher nicht nur in seiner Wahrnehmung neuralgischen Punkte des europäischen Integrationsprozesses geht er kritisch und zugleich mit der ironischen Distanz desjenigen ein, der sich von der „europäischen Romantik“ verabschiedet hat. Zu diesen Themen, die die strukturellen Grenzen des EU‑Projekts in erster Linie markieren, gehören die politisch bedingte Fehlkonstruktion der Wirtschafts‑ und Währungsunion, die aufgrund nationaler Interessen eigentlich nicht existente Außen‑ und Sicherheitspolitik, die Überdehnung der Kommissions‑Zuständigkeiten und die Überlastung der europäischen Handlungsfähigkeit durch die Erweiterungsrunden 2004 und 2007. Wer diese pointiert formulierten Kapitel gelesen hat, den wird der betont realistisch gehaltene Ausblick – europäische „Zukunft ohne Illusionen“ (274 ff.) – nicht mehr überraschen. Da die Chancen für substanzielle, die europäische Ebene stärkende Vertragsänderungen gleich null sind, ist ein Pragmatismus der Eurozone geboten, der von einigen Anspruchsreduktionen begleitet sein muss: Einstellung der gemeinsamen Sicherheits‑ und Verteidigungspolitik, Abbau des außenpolitischen Apparats und Einschränkung der Brüsseler Bürokratie, Moratorium der Erweiterungspolitik und schließlich auch eine Stärkung der nationalen Dimension in Gestalt des Europäischen Rates.
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Rubrizierung: 3.13.23.43.53.6 Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Martin Winter: Das Ende einer Illusion. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39693-das-ende-einer-illusion_47985, veröffentlicht am 19.05.2016. Buch-Nr.: 47985 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken