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Christoph Knill / Stephan Heichel / Caroline Preidel / Kerstin Nebel (Hrsg.)

Moralpolitik in Deutschland. Staatliche Regulierung gesellschaftlicher Wertekonflikte im historischen und internationalen Vergleich

Wiesbaden: Springer VS 2015; 262 S.; 26,99 €; ISBN 978-3-658-05128-0
Darf ein Embryo zu Forschungszwecken verwendet oder einem schwerkranken Patienten Beihilfe zum Tod geleistet werden? Wenn es um solche Fragen geht, berührt die Politik fundamentale Werte der Gesellschaft. Wie sie diese Themen bearbeitet, untersuchen die Herausgeber_innen des Sammelbandes in einer (international) vergleichenden Policy‑Analyse. Den zehn empirischen Studien, die die Themen Bio‑, Sexual‑, Sucht‑ und Waffenpolitik seit den 1960er‑Jahren behandeln (ohne dabei die Frauenrechte zu thematisieren), ist ein theoretisches Kapitel der Herausgeber_innen vorangestellt, auf das sich die Beiträge methodisch beziehen. Als grundlegende Analysedimensionen werden hier das Agendasetting (welche Faktoren beeinflussen, ob moralpolitische Themen auf die Tagesordnung gelangen?) und die Entscheidungsfähigkeit des politischen Betriebs (welche Akteure beeinflussen eine verbindliche Entscheidung?) angeführt. Christian Person verdeutlicht in seinem Beitrag über die Liberalisierung der Pornografie, dass stattfindender Wandel häufig als eine Folge der Delegitimierung des Status quo begriffen werden kann, etwa wenn Sexualität nunmehr als Ausdruck von Selbstbestimmung statt als drohender Sittenverfall gedeutet wird. Auch Strategien der Nicht‑Entscheidung oder der Verlagerung auf Dritte werden in den Blick der Untersuchungen genommen. Caroline Preidel und Kerstin Nebel zeigen in ihrem Beitrag, wie die Politik das Problem der Sterbehilfe durch die Einsetzung einer Expertenkommission zu entschärfen versucht, um es effektiver lösen zu können. Die Vielzahl der Beiträge veranschaulicht, dass Wandel über die untersuchten Felder hinweg „in hohem Maße kontingent [ist]“ (22). Auch der internationale Vergleich ist komplex. Deutschlands Rolle wird als die eines „Mitläufers“ (246) beschrieben, weil es in bestimmten Themenfeldern zwar als liberales Vorbild, in anderen aber als restriktiver Nachzügler bezeichnet werden muss. Insgesamt öffnet der Band den Blick für die politikwissenschaftlichen Besonderheiten politischer Themen, die sich auf einen gesellschaftlichen Wertekonflikt beziehen, auch wenn der Gegenstand „Moralpolitik“ etwas schärfer hätte gezeichnet werden können.
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Rubrizierung: 2.3432.3 Empfohlene Zitierweise: Sven-Jacob Sieg, Rezension zu: Christoph Knill / Stephan Heichel / Caroline Preidel / Kerstin Nebel (Hrsg.): Moralpolitik in Deutschland. Wiesbaden: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39489-moralpolitik-in-deutschland_47926, veröffentlicht am 03.03.2016. Buch-Nr.: 47926 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken