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Terry Eagleton

Der Tod Gottes und die Krise der Kultur. Aus dem Englischen von Ulrike Strerath-Bolz

München: Pattloch 2015; 287 S.; 19,99 €; ISBN 978-3-629-13076-1
Schon die Übersetzung des Titels, der im englischen Original nichts von der Krise der Kultur weiß, sondern schlicht von „Culture and the Death of God“ spricht, steht für den rätselhaften Widerstreit von Kultur und Religion, der hier eher essayistisch, aber mit viel Liebe zum Detail aufgearbeitet wird. War die kulturelle Blütezeit der westlichen Welt, die als Aufklärung bekannt ist, eine atheistische Bewegung? Nein, meint der marxistische Literaturtheoretiker Terry Eagleton. In lockerer Anlehnung an die These von der Dialektik der Aufklärung, aber dennoch mit anderer Stoßrichtung beschreibt er das politische „Dilemma“ (39) der Aufklärer: In einer Zeit, in der die realen Möglichkeiten, humanistische Bildung wirklich den breiten Volksmassen und nicht nur einer schmalen Elite zugänglich zu machen, aufgrund der nur wenig entwickelten Produktivkräfte und stark polarisierten Produktionsverhältnisse sehr gering waren, konnte eben diese Elite nicht auf eine spontane Erleuchtung der Bevölkerung hoffen – und wollte daher keinesfalls die Mittel zur Einflussnahme der „sehr populären Ideologie namens Religion“ (34) aus der Hand geben. So entstand der Widerstreit zwischen Elitismus und Volkstümelei, Avantgarde und Selbstbefreiung, Lenkung und Autonomie – ein Problem, das trotz veränderter Bedingungen auch heute noch Bestand hat. Die Aufklärung selbst jedenfalls sei „deshalb bei dem Versuch gescheitert, die Religion abzuschaffen, weil dieses Vorhaben eigentlich gar nicht zu ihren politischen Plänen passte“ (150). Insbesondere die Sphäre der Kultur war nicht in der Lage, das Muster der Religion abzuwerfen. Im Gegenteil: „Die Hochkultur spielt, wie die Religion, eine Doppelrolle, indem sie eine Kritik der modernen Zivilisation liefert, gleichzeitig aber auch Zuflucht vor ihrer Verkommenheit bietet“ (214). Bei allen durchaus scharfsinnigen Beobachtungen etwa über diese Gemeinsamkeit der Zufluchtsfunktion zwischen romantisch‑konservativem und kritischem Zivilisationspessimismus vergisst gerade der Marxist Eagleton aber, über mögliche Alternativen zum reinen Pessimismus nachzudenken – und so zerfällt die ganze Kritik zu einer quasi strichlosen Sammlung von Anekdoten, bei der der Unterschied zwischen dem Atheismus eines Marx und dem eines Nietzsche zu einer reinen Kosten‑Nutzen‑Schätzung wird und die Differenz zwischen der Kulturpolitik von Hitler und Stalin nur noch eine Frage der Himmelsrichtung darstellt. Der Band rezipiert so ein breites Feld an Literatur und bietet viele Denkanstöße, zeigt aber letztlich keine wirklich belastbaren Verbindungslinien zwischen Kultur‑ und Wirtschaftskrisen auf.
{FG}
Rubrizierung: 5.12.22.232.255.42 Empfohlene Zitierweise: Florian Geisler, Rezension zu: Terry Eagleton: Der Tod Gottes und die Krise der Kultur. München: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39418-der-tod-gottes-und-die-krise-der-kultur_47930, veröffentlicht am 18.02.2016. Buch-Nr.: 47930 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken