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Ines Geipel / Joachim Walther

Gesperrte Ablage. Unterdrückte Literaturgeschichte in Ostdeutschland 1945-1989

Düsseldorf: Lilienfeld Verlag 2015; 431 S.; geb., 24,90 €; ISBN 978-3-940357-50-2
„Normalerweise basiert Literaturgeschichte auf erschienenen Texten und dadurch bekannt gewordenen Autoren. Totalitäre Kontrollsysteme wie die DDR aber fallen aus dieser Normalität, indem sie sowohl das Erscheinen widerborstiger Texte wie das Bekanntwerden widerständiger Autoren im Vorfeld verhindern“, schreibt der Schriftsteller Joachim Walther. Er und Ines Geipel, ebenfalls Schriftstellerin sowie Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin, wollen der untergegangenen Diktatur aber nicht den späten Triumph überlassen, den von ihr politisch geformten Literaturkanon als einzige diesbezügliche Hinterlassenschaft in die deutsche Geschichte einzubringen. Auch die Texte, die ungeschrieben und unpubliziert bleiben sollten, aber trotzdem zu Papier gebracht wurden, und die Autorinnen und Autoren, die aus Angst verstummten oder inhaftiert wurden, die vorzeitig verstarben oder in den Westen ausreisen konnten, also „das andere Gesicht der DDR“ (305), sollen Teil der gesamtdeutschen Literatur sein. Geipel und Walther haben damit einen ganz eigenen Zugang zur jüngeren deutschen Geschichte entwickelt, der berührt – nicht nur durch die nachgedruckten Gedichte, sondern auch angesichts der Schicksale junger Menschen, die aus ihrem eigenen Leben gedrängt wurden; beim Blick in die Kurzbiografien im Anhang freut man sich über jede/n Einzelne/n, der die DDR leibhaftig und künstlerisch überlebt hat. Viele der damals unterdrückten Texte haben Geipel und Walther zwischen 2005 und 2009 in der Reihe „Die Verschwiegene Bibliothek“ herausgegeben, mit diesem Band liefern sie die wissenschaftliche Aufarbeitung nach. Geipel, die den ersten Teil über die Zeit von 1945 bis 1968 geschrieben hat, zeigt, dass die DDR mit einer literarischen Lüge begründet wurde. Mit dem Buchenwald‑Buch „Nackt unter Wölfen“, jüngst in einer Neuverfilmung in der ARD gezeigt, wurde die Legende von den guten und mutigen Kommunisten durchgesetzt – nicht nur der grundsätzlichen Legitimation des neuen Systems wegen, sondern auch, um eben diese Kommunisten zu disziplinieren: Ihre Taten im KZ wurden verschwiegen im Tausch gegen ihre Treue der kommunistischen Gruppe gegenüber, die nach Kriegsende aus Moskau anreiste und die Macht für sich beanspruchte. Die Autorinnen und Autoren aber, die im Mittelpunkt des Buches stehen – auf die Zeit von 1969 bis 1989 blickt Walther zurück –, hatten zumeist gar nicht die große Politik im Sinn, sondern beanspruchten nur, sich frei über das Leben und die Gesellschaft auszudrücken. Sie und nicht die staatstreuen Dichter waren es, die „trotz Bedrängnis die Autonomie der Literatur wie der eigenen Persönlichkeit verteidigt“ (180) haben.
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Rubrizierung: 2.314 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Ines Geipel / Joachim Walther: Gesperrte Ablage. Düsseldorf: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, http://pw-portal.de/rezension/39295-gesperrte-ablage_47865, veröffentlicht am 21.01.2016. Buch-Nr.: 47865 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken